Tagebuch


16. Juli 2004
Exempel Flick
Im Streit um die Präsentation der Flick Collection in Berlin steht auch die Neubestimmung des Jüdischseins in Deutschland zur Debatte.
Andreas Mink
Der Streit um die Flick Collection, die bei der Stiftung Preussischer Kulturbesitz in Berlin gezeigt werden soll, hält an. So wurde bekannt, dass sich Friedrich Christian Flick bereits im Sommer 2002 mit Paul Spiegel getroffen hat. Dabei hat der Präsident des Zentralrats der Juden dem Enkel des in Nürnberg verurteilten NS-Kriegsverbrechers Friedrich Flick mitgeteilt, von Seiten seines Gremiums stünde einer Ausstellung seiner rund 2000 Werke umfassenden Sammlung nichts im Wege. [...]
Im Zusammenspiel von alliiertem Reparations- und bundesdeutschem Entschädigungsrecht für NS-Verfolgte wurden Ansprüche für Zwangsarbeit weitgehend unter die Reparations-Ansprüche gestellt und 1953 völkerrechtlich bis ans Ende der Zeiten auf Eis gelegt. [...]
Dies mag moralisch unerträglich sein, ist aber längst Geschichte geworden und in das Völkerrecht eingegangen. Andreas Nachama, der ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, hat dazu jüngst gesagt, die Vermögen von Kriegsverbrechern wie Flick seien 1945 eben nicht eingezogen worden, daran sei heute nicht mehr zu rütteln. [...]

 

12. Juli 2004
Susann Kreutzmann/AP
Offene Wunde im Herzen Berlins
Mitten im Herzen Berlins tut sich eine Wunde auf. Kurz hinter dem Potsdamer Platz erinnert eine Baustelle an die unendliche Geschichte des NS-Dokumentationszentrums Topographie des Terrors. Dort ragen zwischen Sandbergen drei riesige, mit Unkraut überwucherte Betonsäulen in den Himmel. Seit mehr als vier Jahren liegt die Baustelle für eine neue Gedenkstätte brach. Jetzt wird das Projekt am ehemaligen Ort des Schreckens neu ausgeschrieben. Noch vor Jahresende soll in einem Wettbewerb ein neuer Architekt ermittelt werden. Zwei Jahre später könne schon der erste Spatenstich erfolgen, 2008 die Eröffnung, hofft Kulturstaatsministerin Christina Weiss.
[...] Mit einer Neuausschreibung des Projekts soll ein Neuanfang symbolisiert werden. Ist das ein Grund zur Hoffnung? "Ich bin verhalten optimistisch", meint der Geschäftsführende Direktor der Topographie des Terrors, Andreas Nachama. In seiner Bewertung ist er vorsichtig. Vieles deute in eine positive Richtung, sagt er.

Nach dem Aus für das bisherige Projekt gibt es noch kein neues Konzept. Die errichteten Betonsäulen müssen wohl abgerissen werden. Bescheidener und unauffälliger soll der kommende Entwurf sein. "Die neue Architektur soll dem Gelände dienen", erklärt Nachama. Er hätte sich schon vor elf Jahren lieber einen "undekorierten Schuppen" als den aufwändigen Zumthor-Entwurf gewünscht.
[...]

12. Juli 2004
Die Wunde muss sichtbar bleiben
„Topographie“ wird zum Zentrum der Gedenkstättenarbeit
– Ausstellung eröffnet
dpa
Berlin. Das Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors“ in Berlin ist für den Bund „das Zentrum der Gedenkstättenarbeit über das Terrorsystem und die Täter“ der NS-Zeit. [...] Der geschäftsführende Direktor der Stiftung, Andreas Nachama, betonte, die Stiftung werde „nicht ein zweites Mal zum hilflosen und fremdbestimmten Objekt eines allein behördlichen Bauregiments“ werden. Sie wolle auch kein Denkmal am „Kreuzungspunkt der Geschichte des 20. Jahrhunderts“, sondern einen lebendigen Informations- und „Lernort“ über die Schrecken des NS-Terrorsystems für vermutlich jährlich eine halbe Million Besucher. Im letzten Jahr seien etwa 1 000 Gruppen über das rund 4,6 Hektar große Gelände der früheren Zentralen von Gestapo und SS mit ihren Folterkellern geführt worden. „Die offene Wunde, das brachliegende Gelände, muss sichtbar bleiben“, betonte Nachama. [...]


10.Juli 2004
TAGEBUCH

Schwarzer Peter für Stimmann
Nikolaus Bernau
Am Ende des langen Diskussionstages im Lichthof des Martin-Gropius-Baus wurde es langweilig: Alle, aber wirklich alle waren sich einig, die Politiker aus dem Abgeordnetenhaus und dem Bundestag, die Fachleute und selbst das übers Internet zugeschaltete Publikum: Die Stiftung Topographie des Terrors soll künftig "entscheidend", "auf gleicher Augenhöhe", "mit Vetorecht", wenigstens "gleichberechtigt" die Gestalt ihres künftigen Ausstellungshauses an der einstigen Prinz-Albrecht-Straße bestimmen. Stiftungsdirektor Andreas Nachama, der seit 1993 auf sein Haus wartet, konnte zufrieden sein. [...]


Berliner Morgenpost 10. Juli 2004
Topographie: "Den Ort zum Sprechen bringen"
Experten befürworten schlichten Neubau
Katrin Schoelkopf
[...] Nicht eine symbolträchtige Architektur, sondern ein Gebäude, das sich in das 4,6 Hektar große historische Gelände einbetten lässt, sei gefragt, brachte es der Geschäftsführende Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama, auf den Punkt. Im Gegensatz zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas oder dem Jüdischen Museum handele es sich bei der Topographie um einen historischen Ort, der zum Sprechen gebracht werden müsse und nicht durch eine architektonische Struktur überformt werden dürfe. "Die offene Wunde muss sichtbar bleiben", forderte Nachama. Wer mit dem Gelände, vom dem aus die Nazis ganz Europa terrorisierten, Staat machen wolle, mache alles falsch. Über die historische Dokumentation des Ortes der Täter - quasi als gesellschaftliche Herausforderung - müsse begreifbar werden, dass die deutsche Nachkriegsgesellschaft ihre Identität in der Negation des Terrors finde, sagte Nachama. [...]

Andreas Nachama und Stefanie Endlich forderten, nur Architekten einzuladen, die im Sinne der Stiftungskonzeption kooperationsbereit seien.


10. Juli 2004
Am Katzentisch der Politik

Wem dient die Architektur?
In Berlin diskutiert ein Symposium über die Zukunft der „Topographie des Terrors“
Von Michael Zajonz
[...] Kulturstaatsministerin Christina Weiss, Berlins neue Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg JungeReyer und Kultursenator Thomas Flierl vereinbahrten, dass die Bauherrenschaft des mit 38,8 Millionen Euro zu gleichen Teilen von Bund und Land finanzierten Projekts künftig von der Bundesbaudirektion wahrgenommen werden soll. Und das, obwohl Stiftungs-Direktor Andreas Nachama immer wieder forderte, künftig in eigener Sache „nicht am Katzentisch“ der Politik sitzen zu müssen.

Bei seiner Begrüßung dämpft Knut Nevermann, der Weiss vertritt, allerdings Nachamas Hoffnungen: Der Bund beharre auf seiner Verantwortung, „doch es wird nichts mehr gegen den Willen der Stiftung als künftigem Nutzer gebaut“. Ein überfälliges Versprechen, dass auch die Senatsvertreter – Senatorin Junge-Reyer und Kulturstaatssekretärin Barbara Kisseler – bekräftigen.
[...]Und noch eine Nachricht, die aufhorchen lässt: Man wolle sich nicht an „fiktiven Haushaltsresten“ orientieren – gemeint ist der Rest der gedeckelten Bausumme von etwa 23 Millionen Euro –, sondern an den tatsächlichen Nutzungsanforderungen. Es bleibt die Quadratur des Kreises: mit einer dienenden Architektur, einem „undekorierten Schuppen“ den Lern- und Gedenkort zum Sprechen bringen. Ganz sicher ist man sich nur darüber, was man nicht will. Andreas Nachama sagt es so: „Hier wollte man Staat machen, und machte damit alles falsch.“

10. Juli 2004
Topographie: Lernort statt Denkmal
Bund: Nichts gegen den Willen der Stiftung/Neubau des Dokumentationszentrums ab 2006   
Bernd Kammer
[...] Die Wünsche der Stiftung, auch als Bauherr für den Neubau zu fungieren, werden sich nicht erfüllen. Die Bauherrenschaft geht von Berlin auf den Bund über. Aber es werde kein Nutzungskonzept und keine Ausschreibungsunterlagen geben, die nicht ihre Zustimmung gefunden habe, versicherte Nevermann. »Es wird nichts gebaut gegen den Willen der Stiftung«. Dies wäre ein Fortschritt. Die Publizistin Stefanie Endlich, die 1993 in der Wettbewerbs-Jury gesessen hatte, erinnerte daran, dass die Stiftung eine zurückhaltende Architektur gefordert hatte, die Senatsbauverwaltung aber die Weichen für eine großformatige Architektur stellte. »Wie ein Bittsteller« sei die Stiftung danach behandelt worden.
Die Stiftung werde sich »nicht ein zweites Mal zum hilflosen und fremdbestimmten Objekt eines allein behördlichen Bauregiments« machen lassen, sagte deren geschäftsführender Direktor Andreas Nachama. Sie wolle kein Denkmal am »Kreuzungspunkt der Geschichte des 20. Jahrhundert«, sondern einen lebendigen Informations- und Lernort über die Schrecken des NS-Terrorregimes für vermutlich eine halbe Million Besucher jährlich. »Die offene Wunde, das brachliegende Gelände, muss sichtbar bleiben«, so Nachama. Nach dem Zumthor-Desaster ist das nun auch die Position der Senatsbauverwaltung unter ihrer neuen Senatorin. Das Gelände benötige zwar eine hochklassige, aber eine dienende Architektur, betonte Ingeborg Junge-Reyer (SPD) und sagte der Stiftung jede Unterstützung zu. [...]

news de. 9. Juli 2004
Bund erklärt «Topographie» zum Zentrum der Gedenkstättenarbeit
Berlin (dpa): [ ...] Der geschäftsführende Direktor der Stiftung, Andreas Nachama, betonte, die Stiftung werde «nicht ein zweites Mal zum hilflosen und fremdbestimmten Objekt eines allein behördlichen Bauregiments» werden. Sie wolle auch kein Denkmal am «Kreuzungspunkt der Geschichte des 20. Jahrhunderts», sondern einen lebendigen Informations- und «Lernort» über die Schrecken des NS-Terrorsystems für vermutlich jährlich eine halbe Million Besucher. Im letzten Jahr seien etwa 1000 Gruppen über das rund 4,6 Hektar große Gelände der früheren Zentralen von Gestapo und SS mit ihren Folterkellern geführt worden. «Die offene Wunde, das brachliegende Gelände, muss sichtbar bleiben», betonte Nachama.

26. Juni 2004
Das Opfer soll Täter sein Ein Weißwäscher, der mit Blutgeld hantiert? Kritiker aus der jüdischen Führung wollen verhindern, dass der umstrittene Mäzen in Berlin sesshaft wird.
ANDREAS MINK
[...] Andreas Nachama, der ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, hat dazu jüngst gesagt, das Vermögen des Kriegsverbrechers Flick sei 1945 eben nicht eingezogen worden, daran sei heute nicht mehr zu rütteln. Die seit 2001 von der deutschen Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ an überlebende Zwangsarbeiter geleisteten Zahlungen sind qua Definition keiner Rechtspflicht geschuldet, sondern „moralischer“ Natur. „Moral“ steht hier in Anführungszeichen, da die deutsche Seite seit Ende der 1950er Jahre wiederholt Leistungen an NS-Opfer erbracht hat, denen Bonn und Berlin keine Rechtsansprüche zugestehen wollten – wurde der Druck jedoch zu stark, reagierte die Bundesrepublik mit Zahlungen, die dann jeweils als „humanitäre“ oder „moralische Gesten“ definiert wurden. Geld, Moral, Gerechtigkeit und politischer Opportunismus sind in diesen Fragen also seit Jahrzehnten unauflösbar miteinander verschmolzen. [...]

Jüdische Allgemeine Wochenzeitung 17. Juni 2004
Herzl in Berlin

Veranstaltungswoche zum Todestag des Zionismusgründers
Elke Wittich
[...] Der Historiker und Rabbiner Andreas Nachama kann sich noch gut daran erinnern, wann er zum ersten Mal von Theodor Herzl erfuhr. „Es war in den sechziger Jahren, als mir diese dunkelbraune israelische Briefmarke auffiel. Daß der dort abgebildete Mann mit dem Bart eine besondere Gestalt sein mußte, war mir wohl sofort klar.“ Im Bücherregal seiner Eltern fand er Herzls Schrift Altneuland. Die Entdekkung, „daß die Briefmarke zu einem Buch gehört“, erzählt Nachama, „führte dazu, daß sich mein Herzl-Bild immer mehr verdichtete. Als ich dann 1967 als Fünfzehnjähriger kurz nach dem Ende des Sechstagekrieges auf dem Jerusalemer Herzlberg an dem großen Granitquader stand, war das schon ein sehr beeindruckender Moment für mich.“ Für Nachama ist Theodor Herzl nach wie vor eine wichtige historische Persönlichkeit, „die durch ihr Tun die Geschichte in eine neue Bahn gebracht hat – in früheren Jahrhunderten hätte man ihn sicher als Propheten bezeichnet, zumal er ja durch seine Worte gewirkt hat“. Seine Visionen seien nicht nur modern, sondern auch dauerhaft erfolgreich: „Daß der erste Zionistische Weltkongreß erst 1898, also gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts stattfand, finde ich sehr aussagekräftig, denn Herzls Idee gehört eindeutig ins zwanzigste Jahrhundert.“ Und sie sei auch heute immer noch lebendig – „schließlich erwies sie sich als tragender als das große Gesellschaftsmodell von Marx und Engels.“ Auch in einem anderen Punkt seien Herzls Überlegungen nach wie vor aktuell: „Er hat in seinen späteren Schriften sehr klar formuliert, daß man sich mit den Arabern in irgendeiner Form auseinandersetzen muß. Das von ihm spät erkannte Problem begleitet den Staat bis heute. Wer es löst, dem würde sicher ein ähnlicher Platz zustehen wie Herzl.“[...]

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