Tagebuch

19.09.2017
Nachruf
Die Kämpferische
Christine Schmitt
Monika Almekias-Siegl prägte die Synagoge Herbartstraße jahrzehntelang musikalisch. Sie starb im Alter von 73 Jahren.

Sie hat die Synagoge des Jüdischen Altersheims in der Herbartstraße musikalisch viele Jahrzehnte lang geprägt und galt als ihr musikalisches Gesicht. […] »Zu ihrer positiven Lebenseinstellung gehörte auch das Motto ›Geht nicht, gibt es nicht‹«, sagt Rabbiner Andreas Nachama über Monika Almekias-Siegl. Sie habe die Begabung besessen, aus Problemen Chancen zu machen.

»Sie konnte Schwierigkeiten annehmen und einen Weg heraus suchen und finden«, so der Rabbiner. Beispielsweise, als die Gelder für den Chor der Synagoge Herbartstraße, den sie leitete, gekürzt werden sollten, oder auch, als ihr zweiter Sohn mit Down-Syndrom auf die Welt kam – da war sie 29 Jahre alt und steckte noch in der Ausbildung zur Musiktherapeutin. […] »Sie beherrschte ihr Instrument so gut, dass sie, wenn der Kantor mit seiner Stimme beispielsweise nicht so hoch kam, problemlos in eine andere, tiefere Tonart wechseln konnte«, würdigt Rabbiner Nachama ihr musikalisches Können.

[…] Und dann gab es da auch noch den Chor, mit dem sie viel probte und der regelmäßig in der Synagoge Herbartstraße seine Einsätze hatte. Esther Hirsch, heute Kantorin bei Sukkat Schalom, hat dort mitgesungen. Auch an der Ausbildung von Alexander Nachama, heute Kantor und Rabbiner in Dresden, hatte sie einen großen Anteil. […] Ein Werk kann man von ihr immer noch hören: Zusammen mit einem Tontechniker hat die Musikerin unbegleitete Gesänge von Kantor Estronga Nachama weiterverarbeitet, indem sie sie von ihrem Chor und ihrem Orgelspiel begleiten ließ. »Sie hat ihn intuitiv begleitet, und man spürt dabei, wie begabt sie war«, sagt Andreas Nachama.

Schabbat Feier

Oberkantor
Estrongo Nachama Live


Chor der Synagoge Herbartstrasse
Orgel und Leitung
Monika Almekias-Siegl

Chor der Synagoge Herbartstraße mit Monika Almekias (2. Reihe, 2. von rechts)
CD im CD Shop und bei Amazon erhältlich

 

30.08.2017
Flughafen Tempelhof

„Kaum einer weiß, was hier geschehen ist“
Im Intervieist Direktor der Stiftung Topographie des Terrors und Leiter des Dokumentationszentrums Andreas Nachama
Das Interview führte Max Nölke.

Zwangsarbeiter, die Flugzeuge bauten, das KZ Columbia: Topographie des Terrors plant eine neue Ausstellung über die düstere Geschichte des Flughafens Tempelhof.

taz: Herr Nachama, die Topographie des Terrors plant für 2018 das Ausstellungsprojekt „Geschichte des ehemaligen Flughafens Tempelhof“. Ihre Stiftung ist eine Dokumentationsstätte des Terrors in der Zeit des Nationalsozialismus. Was hat sie denn mit Tempelhof zu tun?

Andreas Nachama: Wer nach Tempelhof kommt und vor dem Gebäude steht, sagt erst mal „wow“, aber kaum einer weiß, was hier genau geschehen ist. Es gibt grausame, tragische, aber auch spannende Geschichten, die das Tempelhofer Feld erzählt. Nur die wenigsten kennen die sehr unterschiedlichen Nutzungen des Areals in der NS-Zeit zwischen 1933 und 1945.

Erzählen Sie mal, was zu dieser Zeit dort geschah.

Zwischen 1934 und 1936 befand sich hier das KZ Columbia mit einer durchschnittlichen Belegung von 400 Häftlingen, das heißt zwei bis drei Häftlinge pro Einzelzelle. Zudem mussten mehrere tausend Zwangsarbeiter hier während des Zweiten Weltkriegs Flugzeuge für die Lufthansa AG und die Weser-Flugzeugbau GmbH bauen. Diese Leute wurden in Baracken untergebracht. Lauter solche Dinge wollen wir erzählen. Kaum einer weiß, dass es im Flughafengebäude ein Filmlager mit Nitrofilmmaterial gab, das am Ende des „Dritten Reichs“ in Brand geraten ist. Die Brandspuren kann man heute noch sehen und riechen.

Wie kam es dazu, dass die Topographie auf dem Tempelhofer Feld ausstellen soll?

Die Stiftung Topographie des Terrors hat auch die Aufgabe, den Berliner Senat zu beraten, wenn Orte mit NS-Bezug in der Stadt zu markieren sind. Bei dem Projekt Tempelhof haben wir einen Runden Tisch koordiniert. Folglich kam der Berliner Senat im März dieses Jahres auf uns zu. So werden wir im Rahmen des anstehenden Kulturerbejahres, das die Europäische Kommission initiiert hat, eine publikumswirksame Präsentation zum Thema Flughafen Tempelhof erstellen.

Wird allein die Geschichte der NS-Zeit ausgestellt?

Ich würde sagen, 50 Prozent des Ausstellungsumfangs wird die NS-Zeit dokumentieren. Aber es soll auch ein lebendiges Bild der Nachkriegszeit erzählt werden, das bis zu den gegenwärtigen Entwicklungen nach der Schließung 2008 reicht.

Was wird hier thematisiert?

Also ganz so klar ist das alles noch nicht, denn das Projekt kann erst beginnen, wenn die Mitarbeiter an die Arbeit gehen. Aber es geht beispielsweise um die entführten polnischen LOT - Flugzeuge. Dreizehnmal – zwischen 1963 und 1983 – landeten Maschinen der Fluggesellschaft in Tempelhof, weil die Menschen auf diese Weise aus dem sozialistischen Polen flüchteten. Man wird hoffentlich viele spannende Details erfahren.

Es gibt doch bereits Führungen über das Gelände zur Tempelhofer Geschichte. Zudem finden weitere Planungen statt. Der Senat unterstützt etwa die Eröffnung einer Ausstellungs-Terrasse. Weshalb braucht es da noch eine weitere?

Das ist ja alles touristisch und so etwas wie die Hungerharke (das Luftbrückendenkmal, Anm. d. Red.), die da steht, sagt nichts darüber aus, was da eigentlich ablief. Unsere Dokumentation soll etwas Nachhaltiges schaffen, einen Teil der Berliner Stadtgeschichte präsentieren. Auch wenn die Stiftung Topographie hier keine permanente Außenstelle errichtet.

Tut sie nicht?

Nein. Das Vorhaben wird hauptsächlich von der Europäischen Union finanziert, die das Kulturerbejahr 2018 fördert. Im September nächsten Jahres soll die Ausstellung eröffnet werden und bis Ende 2018 wird das Vorhaben gefördert. Heißt: Innerhalb des ersten Halbjahres 2019 wird unsere Arbeit dort weitestgehend zu Ende sein.

Und damit auch die Erinnerungsstätte geschlossen?

Nein, die Sache ist auf Nachhaltigkeit angelegt. Wir hoffen auf ein Shake hands mit anderen Organisationen, die dieses Projekt dann fortführen. Denn der gesetzliche Auftrag der Stiftung ist es nicht, dauerhaft an Orten außerhalb des Geländes der Topographie auszustellen.

Das Tempelhofer Feld misst über 300 Hektar. Wo soll denn da ausgestellt werden?

An einem möglichst zentralen Ort, vielleicht im Eingangsbereich des Flughafengebäudes oder auf dem, von den Nazis „Ehrenhof“ genannten, Vorplatz. Das ist aber noch nicht entschieden.

Und wie wollen Sie die Geschichte des ehemaligen Flughafens erzählen?

Die Dokumentation wird sicher nicht museal aufgebaut sein. Wir planen eine Vortragsreise mit Zeitzeugen der Nachkriegszeit, beispielsweise damals hier stationierten Amerikanern, möglicherweise dem ein oder anderen Sowjetsoldaten, der in der Alliierten Luftsicherheitszentrale Dienst getan hat. Dazu sollen Fotos in Text-Bild-Tafeln gestaltet werden.

Sie haben Stellen für drei wissenschaftliche Mitarbeiter ausgeschrieben. Die Planung wird dann Ihre Aufgabe?

Zum Teil. Der eine soll sich auf die Zeit bis zum 8. Mai 1945 fokussieren, der andere befasst sich mit der Zeit danach; also von der Wiederaufnahme des Flugverkehrs nach dem Krieg bis hin zur Gegenwart. Ein weiterer Mitarbeiter soll sich mit dem pädagogischen Aspekt befassen, etwa wie Geflüchtete oder junge Leute an dieses Thema herangeführt werden.

Was muss denn bis zum Ausstellungsbeginn im September 2018 noch erforscht werden?

Zum Forschen im Sinne von Archivforschungen werden wir keine Kapazitäten haben.

Dabei klingt Herbst 2018 noch so fern.

Alleine die technische Herstellung einer Ausstellung dauert ein halbes Jahr. Das, was der Stand der Forschung hergibt, wird innerhalb von sechs Monaten zusammengetragen und in eine verständliche Form gebracht. Wenn's gut geht, haben wir in einem Jahr eine Ausstellung mit überzeugenden und überraschenden Inhalten.

 

24.08.2017
Nachruf
Gelehrter und Streiter
Zum Tod des Historikers und Holocaust-Forschers Eberhard Jäckel
Andreas Nachama

Der Historiker Eberhard Jäckel ist am 15. August 88-jährig in Stuttgart verstorben. Letztmalig habe ich ihn am 17. Mai in der Kuratoriumssitzung der Stiftung Denkmal für die Ermordeten Juden Europas gesehen, an der er trotz seines hohen Alters und seiner angeschlagenen Gesundheit regen Anteil nahm. Beim Shakehand erkundigte er sich, wie bei jedem Zusammentreffen in den letzten Jahrzehnten, nach einer bei ihm promovierten Historikerin, die Kuratorin bei der Stiftung Topographie des Terrors ist, und freute sich immer, wenn er über neuere von ihr kuratierte Ausstellungen hörte.

Wie kaum ein anderer hat sich Jäckel mit dem Mord an den europäischen Juden, mit der Geschichte des »Dritten Reiches« auseinandergesetzt. Seine Habilitationsschrift von 1966, Die deutsche Frankreichpolitik im 2. Weltkrieg , ist noch heute ein Standardwerk. 1969 hat Eberhard Jäckel das wichtige Buch über Hitlers Weltanschauung geschrieben, in dem er die Bedeutung des Antisemitismus für den Nationalsozialismus und die Politik des »Dritten Reiches« herausgearbeitet hat. Dieses Buch wird oft als »bahnbrechend« charakterisiert.

Dokumente In meinem Bücherschrank ist das wichtigste Werk von ihm die zusammen mit Otto Dov Kulka (Hebräische Universität Jerusalem) 2004 vorgelegte, vom Bundesarchiv betreute Quellenedition Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933–1945 . Kulka und Jäckel stellten das Werk am 28. September 2004 in der Topographie des Terrors vor, wo Jäckel bereits zuvor immer wieder auf Podien und mit Beiträgen wichtige Anstöße zur Sicht auf den Nationalsozialismus und den Mord an den europäischen Juden gegeben hatte.

Diese Quellenedition ist geradezu eine Fundgrube für Dokumente über das Leben und die Situation der Juden, soweit die NS-Herrschaft reichte: »Auf der Basis von jahrelangen, fast flächendeckenden Recherchen konnten 752 Dokumente bzw. Dokumentauszüge für den fast 900 Seiten umfassenden Band aus über 50 in- und ausländischen Archiven zusammengetragen werden. Die dem Buch angefügte CD-ROM, auf der der Gesamtertrag der Recherchen präsentiert wird, umfasst sogar 3744 Dokumente. […] Diese Edition ist zweifellos von herausragender Bedeutung für die künftige Forschung zur jüdischen Geschichte und zur Judenverfolgung und zum Judenmord in Deutschland«, so charakterisiert Bernward Doerner vom Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin das Jahrhundertwerk, das allein dafür reichen würde, Jäckel und seinem israelischen Mitstreiter Kulka einen Ehrenplatz in der ersten Reihe der Holocaustforscher zu garantieren.

Aber Eberhard Jäckel war nicht nur lehrender und forschender Historiker, sondern auch ein vom Engagement für Demokratie und politische Verantwortung beseelter Mensch. Er wirkte weit über den Hörsaal und den Kreis der Leser seiner wichtigen Werke hinaus in eine breite Öffentlichkeit. Er gehörte zu denjenigen, die sich 1972 für Willy Brandt und seine auf Versöhnung ausgerichtete Ostpolitik engagierten.

Mahnmal Fast zwei Jahrzehnte, von 1988 bis zur Eröffnung im Mai 2005, kämpfte eine Bürgerinitiative, organisiert in einem Förderkreis, an der Spitze die Fernsehjournalistin Lea Rosh und Eberhard Jäckel, für die Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Am 25. Juni 1999 beschloss der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit den Bau des Denkmals nach einem Entwurf des New Yorker Architekten Peter Eisenman. Lea Rosh würdigt Eberhard Jäckel in ihrem Nachruf als ihren »ältesten, wichtigsten Freund« und »Weggefährten«, mit dem sie gemeinsam »etwas Großes erreicht« habe, nämlich das Denkmal, das er ihr vor Jahrzehnten in Yad Vashem ans Herz gelegt hatte. Nach Jahren des gemeinsamen Engagements für dieses Denkmal haben sie »diesen Kampf gewonnen«.

Eberhard Jäckel wirkt auch über seinen Tod hinaus als wichtiger Forscher zum Thema Nationalsozialismus durch seine Werke und durch die von ihm edierte Quellenedition, an der kein Historiker vorbeikommt, der sich mit der Zeit beschäftigt. Als »homo politicus« bleibt er unvergesslich, weil er ganz wesentlichen Anteil an der politischen Durchsetzung und Realisierung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas hatte. Mit seinem Tod verliert die jüdische Gemeinschaft in Deutschland einen Freund und Mitstreiter.

24.08.2017
Schweres Erbe
Sven Felix Kellerhoff
Die Residenz des Bundespräsidenten Steinmeier hat eine NS-Geschichte. Das Gutachten dazu weist Lücken auf

Das Staatsoberhaupt Deutschlands sollte nicht in einem Haus wohnen, dessen Eigentumsverhältnisse im Dritten Reich zumindest zweifelhaft sind. „Bevor ich die Wohnung in der Dienstvilla nutze, werde ich sicherstellen, dass eine Verständigung über ein angemessenes Gedenken hergestellt ist“, sagte denn auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dem Magazin „Der Spiegel“.
[…]
Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors und ehemaliger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlin, kritisierte die „Peinlichkeit dieses Diskurses“, von der das Bundespräsidialamt „so lange nicht erlöst“ werde, „wie vor der Dienstvilla nicht ernsthaft an Hugo Heymann erinnert wird“. […]

 

Mon, Aug 21, 2017
German president's villa remains haunted by its past
Frank-Walter Steinmeier is under pressure to commemorate building's Jewish ex-owner
Derek Scally in Berlin
Berlin's leafy Dahlem neighbourhood has always been a good address – except if you were a Jew selling a villa there in 1933.

Now, almost 85 years later, the tragic story of pearl factory owner Hugo Heymann has become a state tragedy. Because his former home, a pretty white plastered villa under a red-tiled roof, is now the residence of Germany's federal president. [...]
“The president's office will never be liberated from the embarrassment of this discourse so long as Hugo Heymann is not remembered properly in front of the villa,” wrote Rabbi Nachama in the Jüdische Allgemeine newspaper.

After a three-year debate, and growing public pressure, president Frank-Walter Steinmeier has said he would “make sure that agreement is reached over appropriate commemoration”.

 

16.08.2017
„Erben des Holocaust“ im Gespräch
Arnstadt. Eine besondere Lesung findet am 25. Oktober um 19 Uhr im Schlossmuseum Arnstadt statt. Andrea von Treuenfeld liest aus ihrem Buch „Erben des Holocaust – Leben zwischen Schweigen und Erinnerung“.
[…]
Andrea von Treuenfeld hat prominente Söhne und Töchter befragt. Marcel Reif, Nina Ruge, Ilja Richter, Andreas Nachama, Sharon Brauner, Robert Schindel und andere berichten von der Herausforderung, mit dem Ungeheuerlichen leben zu müssen. Obwohl sie ihn nicht selbst erlebt haben, blieb der Holocaust ein wesentliches Element in ihrer Biografie. In diesem Buch erzählen sie davon – offen und sehr berührend.

 

17.08.2017

Das Bundespräsidialamt sperrt sich dagegen, den jüdischen Vorbesitzer des Dienstsitzes zu würdigen
Rabbiner Andreas Nachama

Der Stein des Anstoßes könnte kleiner nicht sein: Kantenlänge von 96 mal 96, Höhe 100 Millimeter. Aber größer kann die Peinlichkeit kaum sein, die sich das Bundespräsidialamt eingebrockt hat.

Um zu klären, ob die von einem Historiker aufgestellte These, bei der Dienstvilla des Bundespräsidenten in der Pücklerstraße 14 in Berlin-Dahlem handele es sich um ein frühzeitig »arisiertes« Objekt, stimmt, wurde bei einem anderen renommierten Historiker ein Gutachten vom Bundespräsidialamt in Auftrag gegeben, das zu dem Schluss kommt, der am 7. Februar 1933 geschlossene Kaufvertrag zur Veräußerung der Immobile sei rechtens.

Gedenktafel Das kann man so oder anders sehen, aber warum wird nicht mit einer Gedenktafel an geeigneter Stelle im Haus oder besser noch am repräsentativen Zaun an den von Nazis verfolgten jüdischen Perlenfabrikanten Hugo Heymann erinnert, dem es nicht gelang, zu emigrieren, der schließlich von der Gestapo misshandelt wurde und starb?

Das ist Grund genug wenigstens für die Verlegung eines Stolpersteins, um den Namen des NS-Opfers zurück an den Ort seines Lebens zu bringen, zumal sich ein Spender dafür bereits gefunden hat. Mit der Verlegung eines Stolpersteins geht überhaupt nicht die Frage der rechtmäßigen Veräußerung der Immobilie einher. Als würden nicht vor zahllosen Berliner Gebäuden – viele überhaupt erst nach 1945 auf den Trümmern der zerbombten Vorkriegsgebäude errichtet – Stolpersteine liegen, um an die verfolgten Berliner Juden zu erinnern. Und die heutigen Bewohner sind oft stolz auf diese Zeichen der Erinnerung an die ermordeten Nachbarn.

Wie zitierte doch Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner berühmten Rede 1985 Baal Schem Tow: »In der Erinnerung liegt das Geheimnis der Erlösung.« Das Bundespräsidialamt wird von der Peinlichkeit dieses Diskurses solange nicht erlöst werden, wie vor der Dienstvilla nicht ernsthaft an Hugo Heymann erinnert wird.

 

30.06.2017

Nachruf: Grande Dame der Gemeinde - Inge Marcus starb im Alter von 95 Jahren
Christine Schmitt

Inge Marcus war zweifellos eine Grande Dame – herzlich, großzügig, offen. Am Freitag ist die Gemeindeälteste und frühere Repräsentantin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin im Alter von 95 Jahren gestorben. Rabbiner Andreas Nachama, dessen verstorbene Eltern Estrongo und Lilli Nachama mit Inge Marcus befreundet waren, beklagt »einen großen Verlust für die Jüdische Gemeinde zu Berlin«. Inge Marcus hätte laut Nachama eine gute Juristin abgegeben, denn sie hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. »Wenn etwas unfair zuging, dann legte sie ihr Veto ein«, erinnert sich der frühere Gemeindevorsitzende. Das habe er in seiner Amtszeit immer wieder erlebt. […]

 

14.06.2017

Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) und die Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate luden gemeinsam zum Iftar (Fastenbrechen) am 13.06.2017 nach Berlin ein.

Bildmitte: Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, Ayman Mazyek und Botschafter Ali Al Ahmed

Prof. Andreas Nachama, Publizist, Rabbiner, Historiker und Geschäftsführer der Stiftung Topographie des Terrors, sagte in seinem Grußwort: „Shalom heißt bei uns Frieden.“ Er als bekennender Jude erinnerte an „die schwierige deutsche Geschichte.“ Am Ende müsse man zu der Einsicht und Forderung kommen: „Wir alle hoffen und wollen, dass es Friede werde.“

/ Moabit 22.06.2017

Auf dem ehemaligen Güterbahnhof wurde der Gedenkort für deportierten Juden eingeweiht.

[…] Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, bezeichnete den neuen Gedenkort als „eindrucksvolle Installation“. Beim kleinen Festakt ließ Kulturstadträtin Sabine Weißler (Bündnisgrüne) noch einmal den beschwerlichen Weg hin zum Mahnmal seit den frühen 90er-Jahren Revue passieren. Erst hätten „verschiedene Sparwellen das Kulturamt weggerafft“ und ein Vorankommen des Gedenkprojekts unmöglich gemacht, danach habe ein Gordischer Knoten durchschlagen werden müssen. Weißler: „Wir brauchten Mittel für die Realisierung, die der Bezirk nicht hatte und die wir hofften von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie zu bekommen. Die Klassenlotterie stellt aber keine Blankoschecks aus. Deswegen mussten wir eine Planung vorlegen, für die wir aber auch kein Geld hatten.“ Die Planung habe schließlich die Senatsverwaltung finanziert. „Damit konnten wir bei der Deutschen Klassenlotterie einen Antrag stellen, der auch genehmigt wurde. Danach war es möglich, den Wettbewerb auszuschreiben.“ Weißler mahnte, ein wachsames Auge auf den Gedenkort zu haben, „dass er würdig bleibt, nicht beschädigt wird und wir ihn weiterhin zum Sprechen bringen“. KEN

/ 08.06.2017

House Of One - Pläne für den Petriplatz
Christine Schmidt

Rabbiner Andreas Nachama sieht zufrieden aus. Er steht vor einem Pavillon auf dem Petriplatz in Berlin-Mitte, wo irgendwann in naher Zukunft die Synagoge des »House of One« gebaut werden soll. Heute ist auf der 2000 Quadratmeter großen Fläche provisorisch eine Tischlerei eingerichtet, in der Schüler Möbel zimmern. Am Eingang liegen Postkarten aus. »Was haben ein Rabbi, ein Imam und ein Pfarrer gemeinsam? ›House of One‹, drei Religionen unter einem Dach«, steht darauf.

»Ich fasse mir immer wieder an den Kopf und frage mich, warum noch nie jemand vor uns diese Idee des Trialogs verwirklicht hat«, sagt Rabbiner Nachama. Der jüdische Präsident des Deutschen Koordinierungsrates löste 2015 Rabbiner Tuvia Ben-Chorin nach dessen Weggang aus Berlin im Vorstand ab. Es habe sich »in jeder Hinsicht gelohnt«, sagt er zwei Jahre später.

 

"meet2respect" / 25.05.2017

Im Rahmen des Evangelischen Kirchetages setzten sich Rabbiner, Imame und Pfarrer*innen gemeinsam auf Fahrräder für eine Rundfahrt zu Kirchen, Synagogen und Moscheen.

 

/ 08.03.2017

Zwischen Schweigen und Erinnerung
Andrea von Treuenfeld stellte ihr neues Buch »Erben des Holocaust« in der Topographie des Terrors vor.

Jérôme Lombard

[…] Drei prominente Berliner Vertreter der Zweiten Generation waren an diesem Abend in das Dokumentationszentrum gekommen, um über ihre Erfahrungen zu berichten: Ilja Richter, Sharon Brauner und Andreas Nachama. »Schon als Jugendlicher war mir klar, dass meine Familie irgendwie anders ist, als die von Altersgenossen. Über die Vergangenheit wurde Zuhause aber kaum geredet. Es gab nur Informationsfetzen, anhand derer ich mir meinen Teil zusammen reimen konnte«, sagte Nachama.

 

Jüdische Gemeinschaftsfeier im Frankfurter Römer am Vorabend der Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit in der Paulskirche / 04.03.2017

»Wir sind hierhergekommen, um gemeinsam mit dir und denen, die auf protestantischer und katholischer Seite diese Gemeinschaftsfeier zu einem Ort des Lernens und Begegnens gemacht haben, eine weitere Seite im christlich-jüdischen Dialog aufzuschlagen. Da hast du und alle mit dir die Messlatte hoch gesetzt: Hoffen wir, beten wir, dass wir dem gerecht werden können.
Die Schrift kann man, muss man immer wieder neu lesen und, ja, immer wieder anders verstehen. Unsere Sichten auf die Schrift lehren uns: Es gibt keine alternativlosen Situationen!«

 

/ 02.03.2017

Voneinander lernen - Die »Woche der Brüderlichkeit« ist ein Beispiel für Verständigung in anfangs aussichtsloser Lage
Rabbiner Andreas Nachama

Am Sonntag wird 500 Jahre nach der Reformation Martin Luthers in der Frankfurter Paulskirche die »Woche der Brüderlichkeit« eröffnet. Am Tag darauf treffen sich Rabbiner der Orthodoxen und der Allgemeinen Rabbinerkonferenz mit Bischöfen der evangelischen und katholischen Kirche zum alljährlichen Gedankenaustausch. Man könnte meinen, so sollte es nicht nur sein, sondern so wäre es schon immer gewesen.

Aber nein! Vor 84 Jahren – 1933 – wurde anlässlich des 450. Geburtstags Martin Luthers am 10. November mit einer antisemitischen Großveranstaltung im Berliner Sportpalast gefeiert. Am 9. und 10. November 1938 gab es jenes »Feuerwerk« zum Geburtstag des Reformators, der in seiner Schrift Von den Juden und ihren Lügen das Niederbrennen von Synagogen angeregt hatte.

NS-TERROR

Ausweislich der »Berichte aus dem Reich« des Sicherheitsdienstes der NSDAP haben nur wenige protestantische Pfarrer in ihren Predigten am darauffolgenden Sonntag kritisch dazu Stellung genommen, dass der NS-Terror auch vor Gotteshäusern nicht haltmachte. 1946 machte aber dann vor dem Internationalen Militärgerichtshof der dort angeklagte Herausgeber des NS-Hetzblattes »Der Stürmer«, Julius Streicher, mit dieser Schrift Luthers in der Hand geltend, was der Reformator geboten habe, könne doch kein Unrecht sein.

Im Gegensatz zu vielen anderen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, die erst nach dem 30. Januar 1933 eintraten, wurde die moderne Form des Judenhasses schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts von keinem anderen als dem protestantischen Hofprediger Adolf Stoecker mit dem Slogan »Die Juden sind unser Unglück« salonfähig gemacht, wobei sich auch dies in eine am Ende zwei Jahrtausende währende, oft militante und todbringende Judenfeindschaft der Kirchen einfügt.

Jetzt könnte man einwenden: »Aber doch heute nicht mehr!« Kirchen und Synagogen stehen einträchtig beieinander, es gibt landauf, landab anlässlich von Gedenktagen gemeinsame Gebete oder auch christlich-jüdische Gemeinschaftsfeiern. Die EKD hat sich mit Synodalbeschlüssen 2015 zu »Martin Luther und die Juden – Notwendige Erinnerung zum Reformationsjubiläum« vom Judenhass des Reformators distanziert und sich 2016 – sich auf die »bleibende Erwählung Israels« berufend – von der Judenmission abgewandt.

BUBER-ROSENZWEIG-MEDAILLE

Die Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und Juden erhält im Rahmen der Eröffnung der diesjährigen Woche der Brüderlichkeit die Buber-Rosenzweig-Medaille für ihre Verdienste im christlich-jüdischen Dialog. Was sich vor 70 Jahren keiner vorzustellen vermochte: Die EKD hat ein Bekenntnis zu »christlicher Mitverantwortung« am nationalsozialistischen Völkermord abgelegt, es gibt Arbeitshilfen für Gottesdienst, Gemeindearbeit und Konfirmandenunterricht im christlich-jüdischen Dialog. Im Umfeld christlich-jüdischer Gesellschaften pflegen Juden und Christen regen Austausch.

Und doch gibt es Sperrfeuer an der Berliner Theologischen Fakultät, die mal eben wieder einen deutschen Sonderweg gehen will, ähnlich wie die NS-Christen die Hebräische Bibel zur apokryphen Schrift herabstufen wollten. Auch jetzt gibt es an dieser Fakultät Lehrende, die massiv versucht haben, den Synodalbeschluss gegen die Judenmission abzuwenden, gibt es einen Berliner Pfarrer für »interreligiösen Dialog«, der sein Gehalt vom Evangelischen Missionswerk bezieht und das Leid der Palästinenser (Nakba) mit der Schoa gleichsetzt.

Und wenn man ostwärts in Europa geht, dann wird klar, dass nicht alle der vor einem halben Jahrhundert auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Juden betreffenden Beschlüsse an der Basis der katholischen Kirche angekommen sind. Und so manche orthodoxe Kirche vermag sich einen Dialog mit dem Judentum nicht vorzustellen, ja praktiziert gedankenlos einen traditionellen Antijudaismus, auch wenn es kaum oder keine Juden in ihrem jeweiligen Einzugsgebiet gibt.

MOTTO

Unsere Zeit ist zunehmend von einem militanten Egoismus und von einer rücksichtslosen Zerstörung der Schöpfung geprägt. Da kommt den zwei aus der gleichen Lehre entwickelten, aber jetzt doch sehr unterschiedlichen Glaubensweisen eine gemeinsame Verantwortung zu, die das Motto der diesjährigen Woche der Brüderlichkeit sehr gut zum Ausdruck bringt: »Nun gehe hin und lerne«.

Nach dem Kern der biblischen Religion wurde Rabbi Hillel einmal von einem Nichtjuden gefragt: »Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht! Das ist die ganze Lehre, und alles andere ist Erläuterung. Geh hin und lerne!« Es wäre wunderbar, wenn die Woche der Brüderlichkeit, als älteste Bürgerinitiative zur Verständigung in anfangs aussichtsloser Lage, nicht nur im Umgang zwischen Christen und Juden, zwischen Juden, Christen und Muslimen, sondern auch im Umgang von Staaten untereinander nachgeahmt würde und ein Vorbild bliebe.

Der Autor ist jüdischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

 

/ 23.02.2017

Am 16. Februar ist Shoshana Dietzmann-Lapidoth im Alter von 87 Jahren in Berlin gestorben. Die Beerdigung war am Mittwoch, den 22. Februar, auf dem Friedhof an der Heerstraße angesetzt.

[…] »Sie verfolgte den Gottesdienst und kommentierte gerne die Predigten aus ihrem schier unermesslichen Wissen«, sagt Rabbiner Andreas Nachama über sie. Sie spendete eine Pultdecke, die auf den frühen tragischen Tod ihrer Tochter Saray hinwies – zur Jahrzeit sagte sie immer für ihr Kind in der ihr eigenen wunderbar authentischen hebräischen Aussprache Kaddisch. »Sie gehörte ganz unbedingt zur Synagoge Sukkat Schalom – die Wände der Synagoge werden weinen, weil sie von uns gegangen ist«, so Nachama.

 


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