Tagebuch

 

12. Juni 2004
„Er hat mich gerührt und nachdenklich gemacht“
Wie Friedrich Christian Flick und andere auf die Rede Heinz Berggruens reagierten
Sabine Beikler/Amory Burchard
[...] Unterstützung erhält Heinz Berggruen von Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums. Auch Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors und ehemaliger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, unterstützt Berggruen. „Wenn ich nicht auch so denken würde, könnte ich in Deutschland gar nicht leben.“ Es ging nicht an, die Enkel der NS-Generation noch immer haftbar für deren Verbrechen zu machen. Nachama vertritt die Auffassung, dass Flick seine Sammlung nicht mit Geld des Flickkonzerns aus der Kriegszeit zusammengetragen habe. Man solle die Sammlung so behandeln wie andere Sammlungen auch – und im Katalog zur Ausstellung die Kontroverse dokumentieren
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DER STANDARD 11. Juni 2004
Rosh: Auf Flick-Collection verzichten
Flick solle sich an Ausstellung über seine Familie vom Förderverein des Holocaust-Mahnmals beteiligen - Berggruen und Direktor des Jüdischen Museums unterstützen Kunstsammlung

Unterstützung für Flick-Collection von Berggruen und Blumenthal
Der Kunstsammler und Mäzen Heinz Berggruen hatte sich am Donnerstag in seiner Dankesrede nach der Verleihung der Berliner Ehrenbürgerwürde vehement für die Ausstellung der Flickschen Kunstsammlung eingesetzt. Unterstützung erhält Heinz Berggruen von Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums. Auch Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors und ehemaliger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, unterstützt Berggruen. "Wenn ich nicht auch so denken würde, könnte ich in Deutschland gar nicht leben", sagte er dem "Tagesspiegel". Es gehe nicht an, die Enkel der NS-Generation noch immer haftbar für deren Verbrechen zu machen. Flick selber, der beim Festakt im Roten Rathaus anwesend war, sagte einen Tag später: "Er hat mich gerührt und nachdenklich gemacht." [...]

 

7. Juni 2004
Eine Kunstsammlung ist eine Kunstsammlung
Andreas Nachama über die Topografie des Terrors und die Flick-Collection
Das Gespräch führte Harald Jähner.
Bund und Land haben kürzlich entschieden: Der begonnene Bau für die Topografie des Terrors nach den Plänen von Peter Zumthor wird nicht gebaut. Das Gebäude wird neu ausgeschrieben. Man steht wieder am Anfang. Sind Sie nun am Ende mit Ihren Nerven?
Die Nerven halten noch, wenn das auch für eine Institution, die zehn Jahre an einem Bau gestrickt hat, ein herber Schlag ist. Aber es gibt auch Chancen. Mit den Überlegungen zur Ausschreibung des Baus wurde noch vor dem Mauerfall begonnen. Seitdem hat sich in der Umgebung fast alles geändert, was man nun von vornherein berücksichtigen kann.
Das jüdische Museum von Daniel Libeskind, das Holocaust-Mahnmal von Peter Eisenman und der Zumthor-Entwurf für die Topografie des Terrors sind verschiedentlich als eine architektonische Trilogie der Erinnerung aufgefasst worden. Was bedeutet für Sie die Rückkehr zum Zweckbau, den Sie kürzlich gefordert haben? Wollen Sie beim künstlerischen Wettbewerb um das Gedenken nicht mehr mithalten?
Das Mahnmal und das jüdische Museum stehen ja nicht an authentischen Orten, das Mahnmal jedenfalls nicht an einem Ort, der so essentiell für die Planung des Holocaust war wie die Gestapo, die SS-Führung und das Reichssicherheitshauptamt. Insofern brauchen beide die Wirkung der Architektur. In unserem Fall gibt es die "Bodendokumente", die zwar nicht von sich aus sprechen, die aber die (negative) Aura des Ortes darstellen. Das ist es, was die Menschen dorthin zieht. Es ist der Ort der Terrorzentralen, ein Ort der Täter, der sich mit einem Prachtbau nicht verträgt. Es wäre ein Fehler gewesen, einen derart glanzvollen Bau dorthin zu stellen.
Dann muss man doch auch aus inhaltlichen, nicht nur aus finanziellen Gründen froh sein, dass man Zumthor die Schaufel aus der Hand genommen hat. Warum ist man nicht von vornherein deutlich gegen die Planung vorgegangen?
Die Stiftung "Topografie des Terrors" hat von Anfang vehement gegen die Zumthor-Planung plädiert. Aber dann war die Begeisterung der Fachwelt und der Medien so groß, dass sich alle haben mitreissen lassen. Ich erinnere mich noch gut an den Sommer 1997, da stand unsere einfache Ausstellungshalle noch. Reinhard Rürup und ich standen vor dem bescheidenen Pavillon und wir sagten uns: Sowas Gutes werden wir wohl nicht wieder kriegen.
Gibt es ein inneres Gesetz der Subvention, nach dem man sich Bescheidenheit nicht leisten kann, weil sie beim nächsten Mal bestraft wird nach dem Motto "Die machen es auch für billig"?
Ich versuche immer klar zu machen, dass es hier nicht ums Geld geht, sondern darum, ein Gelände zum Sprechen zu bringen. Ich würde am liebsten ein work in progress machen, also einen Architekten finden und mit ihm Schritt für Schritt vorgehen, so dass man im Laufe der Zeit auch korrigierend in den Bau eingreifen kann. Das ist natürlich gegen alle Haushaltsplanlogik.
Die Erinnerung und das Schöne gehen in Berlin eine vertrackte Beziehung ein. Salomon Korn hat dem Kunstsammler Friedrich Christian Flick kürzlich vorgeworfen, er wolle mit der geplanten Ausstellung der Flick-Collection Blutgeld moralisch reinwaschen. Würden Sie sich der Forderung nach Verzicht auf die Ausstellung in Berlin anschließen?
Überhaupt nicht. Ich habe schon vor zwei Jahren gesagt, dass die Flick-Collection eine Sammlung ist, die nach dem Krieg entstand und die nicht mit Geld aus der Naziherrschaft zusammengetragen wurde. Man sollte die Sammlung daher so behandeln wie andere Kunstwerke auch.
Nun entstand Flicks Geld nicht aus dem Nichts, sondern aus einem Kapitalstock, der auch durch Zwangsarisierung und andere Verbrechen gewachsen ist.
Dann gehen wir zurück auf das Jahr 1945, die sogenannte Stunde Null, die es natürlich in Reinform so nicht gegeben hat. Dennoch kann man nicht die Nachkriegsgeneration für die Verbrechen der Älteren haftbar machen. Andernfalls wäre alles, worin wir hier leben, mit dem Holocaust behaftet. Wer das glaubt, und manche tun das, kann dann aber nicht in Deutschland leben. Ich könnte es jedenfalls nicht. Ich bin hier zur Schule gegangen mit der jüdischen Einstellung, dass meine Mitschüler frei von Erbsünde, mit reiner Seele, geboren sind. Wir tragen Verantwortung, aber schuldig sind wir nicht. Verantwortung muss Friedrich Christian Flick natürlich tragen, und das tut er ja auch. Wie würde Deutschland aussehen, wenn die Menschen 1945 nicht eben doch als Stunde Null begriffen hätten? Dann könnte ich auch keinen Volkswagen fahren.
Es hat viele Menschen in der Öffentlichkeit verblüfft, dass der eigentlich besonnene Salomon Korn in der Auseinandersetzung um die Flick-Collection zu derart drastischen Mitteln greift, etwa Flick jahrelange Jet-Set-Existenz vorwirft, wo doch Flick selbst die Verbrechen seines Großvaters durchaus glaubwürdig verabscheut. Haben Sie eine Erklärung für Korns Verhalten?
Die Generation derjenigen, die Auschwitz oder die Illegalität überlebt haben oder die nach Deutschland zurückgekehrt sind, unterscheidet sich von meiner Generation, die hier in den jüdischen Gemeinden in der Nachkriegszeit aufgewachsen ist. Beide Sichtweisen treten immer mehr auseinander. Merkwürdigerweise ist es für die jüngeren schwerer, mit der Vergangenheit umzugehen, als für die, die sie erlebt haben. Das macht mich einigermaßen perplex. Ich glaube nicht, dass man so miteinander rechten kann, wiewohl es auch für mich sehr schwer gewesen ist, mich damit abzufinden, dass die Degussa für die Außenhaut der Stelen des Holocaust-Mahnmals zuständig ist. Aber mir leuchten die Argumente der Mehrheit, die die Entscheidung für die Degussa getroffen hat ein. Die Diskussion darüber finde ich allerdings legitim und auch wertvoll.
Wertvoll, oder auch destruktiv?

Man muss sich überlegen, wo man die Grenzen der Wortwahl zieht, zum Beispiel bei der Kritik des Lebensstils eines Mannes, der sich von den Verbrechen seines Großvaters deutlich distanziert. Der Flick-Konzern hat in den Zwangsarbeiterfond eingezahlt. Wenn das nicht reicht, muss man konsequent sagen, dass man nach 1945 die Vermögen hätte verstaatlichen müssen.
Gibt es für den stellvertetenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland eine quasi amtliche Verpflichtung zum Protest, die es ihm schwer macht, persönlich authentisch zu bleiben?
Ich möchte über die persönlichen Motive dieser Radikalisierung der Auseinandersetzung in Deutschland gar nicht spekulieren. Es wird jüdisches Leben in Deutschland vermutlich in Zukunft prägen. Ich brauche Zeit darüber nachzudenken. Noch bin ich sprachlos.
Wäre ein Dokumentationsraum in der Ausstellung, der die Flick-Verbrechen darstellt, wie es kürzlich vorgeschlagen wurde, eine Lösung?
Ein Kunstsammlung ist eine Kunstsammlung. Man kann sie nicht durch eine Fußnote koscher machen. Der Name Flick ist durch die Geschichte belastet. An der Stelle des jüngeren Flick würde ich großen Wert auf meinen Vornamen legen und die Sammlung Friedrich Christian-Flick-Collection nennen. Allerdings erwarte ich, dass im Katalog die Kontroverse um die Ausstellung fortlaufend dokumentiert wird.

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