Tagebuch

17. Okober 2004 Friedhof Weissensee

 

Gedenkfeier für den Pionier der Gesichtschirurgie
Jaques Joseph

"[...] Wie schmal war der Pfad der deutsch-jüdischen Symbiose. Jacques Joseph stieß immer wieder an Grenzen, ließ sich aber wie so viele seiner Generation davon nicht entmutigen. Wie man an dem auch gespannten Verhältnis zu Julius Wolff sehen kann - oder auch in der wunderbaren Schilderung seiner Praxis in einer Geschichte des rasenden Reporters, Egon Erwin Kisch, der die quasi aus einem Versandhaus-katalog zu bestellenden Schönheitskorrekturen aufs Korn einer seiner Reportagen nahm. Jaques Joseph war ein Revolutionär, ein von seinem Beruf und seinen Möglichkeiten besessener, aber er heilte damit Kriegsverletzte und er heilte damit die Seelen unzähliger, die unter Schönheitsmängeln in ihrem Gesicht litten.[...]"

Foto Dieter Jäger Potsdam


15. Oktober 2004

Die Bilanz ist verheerend
Andreas Nachama im "antifa"-Gespräch: Die Indifferenz überwinden
Ein Gespräch mit Hans Cajé

[...] Antisemitismus ist keine Meinung. Antisemitismus ist ein Verbrechen, er ist in seiner Konsequenz immer der Aufruf zum Mord. Und Aufruf zum Mord kann nicht vom Grundgesetz gedeckt werden.

In einer neofaschistischen Zeitung hieß es nach dem gestatteten Marsch in Bochum: "Die nationale Opposition ist froh und stolz darüber, aus eigener Kraft ein weiteres Tabu in der BRD erfolgreich gebrochen zu haben und versichert, dass es bestimmt nicht das Letzte gewesen ist." Das Tabu ist Bochum, der erste im Nachkriegs-Deutschland mit gerichtlicher Genehmigung durchgeführte Aufmarsch gegen den Neubau einer Synagoge.

Das ist ein Tabubruch. Antisemitismus beginnt scheinbar harmlos und endet immer beim Mord. Fangen wir einmal an, eine gesellschaftliche Gruppe auf so eine Weise zu stigmatisieren, gibt es kein Ende. Nimmt man es hin, kommt der nächste Tabubruch unmittelbar.

Reicht unsere Verfassung aus? Die Richter sagen, die Verfassung gestattet das. Muss die Verfassung nicht präzisiert, ergänzt werden?

Nach meiner Meinung würde die Verfassung schon ausreichen, um die verfassungsmäßige Ordnung offensiv verteidigen zu können. Dazu bedarf es eines gesellschaftlichen Konsenses. Der scheint mir in Frage gestellt. Ein Marsch gegen den Bau einer Synagoge wäre vor 20 Jahren von einem Bundesverfassungsgericht nicht genehmigt worden. Genauso wenig wie die unsozialen Maßnahmen, die es heute gibt, vor 20 Jahren Bestand gehabt hätten.

Sind wir bei einem gesamtgesellschaftlichen Paradigmenwechsel angelangt

Ja, wir erleben einen gesamtgesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Wir werden sehen, wohin das führt. Ich befürchte, dass die Herausforderungen, vor denen wir stehen, noch viel größer werden, wenn es nicht gelingt, diese Indifferenz der Gesellschaft zu überwinden. Wobei es ungerecht wäre nicht zu sagen, dass es gerade vor diesem Hintergrund eben auch andere gibt, die sich verstärkt dagegen engagieren


14. Oktober 2004

Allgemeine Jüdische Wochenzeitung

Sollten Konvertiten sofort Gemeindeposten übernehmen dürfen?
Keine Juden zweiter Klasse
Rabbiner Andreas Nachama

Jude ist das Kind einer jüdischen Mutter oder eine von einem Rabbinatsgericht (Beit Din) ins Judentum aufgenommene Person. Der jüdischen Tradition entsprechend gibt es keine Juden erster oder zweiter Klasse, es gibt keine Halb- oder Vierteljuden. Ist jemand ins Judentum aufgenommen, ist er Jude mit allen Rechten, aber auch mit allen Pflichten.Berühmte Talmudgelehrte wie Schemaja, Urheber des Spruchs „Liebe die Arbeit, hasse die Herrschaft und mache dich nicht der Regierung bekannt“ (Sprüche der Väter 1, 10) oder Awtaljon waren Konvertiten. Man könnte also meinen, wenn selbst Talmudpersönlichkeiten konvertiert sind, sei die jüdische Welt frei von Vorurteilen und begrüße Konvertiten mit offenen Armen. Doch da gibt es seit alters her Vorbehalte. Wenig prophetisch, ganz sicher nicht gedeckt vom jüdischen Religionsgesetz, finden sich kleine Alltagshaken: Nicht selten sind es jene, die dem praktizierten Judentum fern stehen oder erst im Laufe ihres oft dann schon langen Lebens als Ba’alej teschuwa, als reuige Rückkehrer Vorbehalte gegenüber „Jews by choice“ haben – wie die gelungene amerikanische Fassung des Begriffs Konvertit heißt. In der hebräischen Fachliteratur ist der Terminus technicus für Konvertit „Ger zedek“, „Gerechter Fremder“. Nicht selten bleibt es dabei, daß ein Konvertierter als „Ger“ bezeichnet wird. [...]
Es gehört das Fühlen, Dawenen und Leben, wenn man so will, das Eintauchen der ganzen Person nicht nur in die Mikwe, sondern auch in das Tauchbad des jüdischen Lebens dazu. Dies geschieht oft im Kontext eines Traditionsträgers, eben des jüdischen Ehepartners oder Lebensgefährten, kann aber auch im Umfeld einer offenen jüdischen Gemeinde stattfinden. Die sprichwörtliche jiddische Mame ist nicht selten erst als Erwachsene ins Judentum gekommen. Die verantwortungsvollste Aufgabe im Judentum ist es, Kinder jüdisch zu erziehen. Diese Aufgabe ist weit schwerer, als die eines Rabbiners, der ohnehin keine folgenreiche Entscheidung allein, sondern immer nur im Dreierkollegium treffen kann. Wieviele „Jews by choice“ wurden jiddische Mames auch in den Jahren unmittelbar nach der Befreiung 1945? [...]
Ein Judentum, das sich als Religion ernst nimmt, und seine eigene Tradition bewahren will, wird sie akzeptieren. Wie Rabbiner Eleazar sagt: „Der Heilige (...) hat Israel nur deshalb unter die Völker zerstreut, damit sich ihnen Proselyten zahlreich anschließen.“


23. September 2004

Allgemeine Jüdische Wochenzeitung

„Wenn die parlamentarisch Fuß fassen, dann werden sie die damit verbundenen Privilegien, wie damals die NSDAP, zur Zerstörung der Demokratie benutzen.“
Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors


23. September 2004

Allgemeine Jüdische Wochenzeitung

Vater oder Mutter?
Jüdische Gemeinde zu Berlin debattierte ihre Aufnahmekriterien
Detelf David Kauschke

[...] Der liberale Rabbiner und ehemalige Gemeindevorsitzende Andreas Nachama fügt hinzu, daß in der Berliner Gemeinde seit Jahrzehnten die Praxis gilt, daß auch Kinder jüdischer Väter und nichtjüdischer Mütter mit ihrer Bar- oder Batmizwa Gemeindemitglieder werden könnten. Voraussetzung dafür sei, daß die Jungen beschnitten sind oder die Mädchen eine Namensgebung hatten sowie jüdisch erzogen wurden, so Nachama. „Das wurde immer sehr pragmatisch gehandhabt“, bestätigt Nachamas Nachfolger im Amt des Gemeindevorsitzenden, Alexander Brenner.


13. September 2004

Berliner Morgenpost

Tausende Menschen bei Aktionstag gegen Rassismus
dpa

Mehrere tausend Menschen haben am Sonntag mit einem Aktionstag gegen Rassismus, Neonazismus und Krieg protestiert. [...] Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele sprach sich laut Veranstalter dafür aus, die politische Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus "verstärkt zu führen und nicht durch Verbote zu ersetzen". Eröffnet wurde die Veranstaltung vom Direktor der Topographie des Terrors, Andreas Nachama, vor dem Gelände der früheren Gestapo-Zentrale an der Niederkirchnerstraße. Nachama forderte dazu auf, die Erinnerung an das damalige Unrecht für einen verschärften Blick auf die Gegenwart zu nutzen.

 

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