Tagebuch


29. November 2007

Jede Menge Zukunft
„Atid“ gewinnt die Wahl – und Lala Süsskind kann als erste Frau Vorsitzende der Gemeinde werden

[..] Der frühere Gemeindevorsitzende Andreas Nachama bezeichnet das Ergebnis als eine sehr gute Wahl: „Die 21 Gewählten bieten die Gewähr dafür, dass es jetzt einen freundschaftlichen und von Sachlichkeit geprägten Umgang in der RV geben wird.“ Ex-Gemeindechef Albert Meyer freut sich über „die Rückkehr der Gemeinde ins alte Fahrwasser“.


28.November 2007

Lala Süsskind soll für Ruhe sorgen
Die Jüdische Gemeinde hofft auf ein Ende der Streitereien
Marlies Emmerich

[…]Seit den Parlamentswahlen vom Wochenende scheint sich die Stimmung schlagartig zu bessern. Viele hoffen, dass Lala Süsskind, die mit ihrem Wahlbündnis "Atid" die absolute Mehrheit erreichte, wieder Ruhe und Ordnung in die Gemeinde bringt. Süsskind, Mutter zweier erwachsener Kinder, ist bekannt durch ihre fast 20 Jahre lange Tätigkeit für die Berliner jüdische Frauenorganisation Wizo. Weitere 13 Jahre arbeitete sie als Wizo-Bundesvorsitzende. […]

"Meiner Wahl steht damit nichts mehr im Weg", sagt Süsskind. Offiziell bestimmen die Repräsentanten den Vorstand und aus seiner Mitte heraus den Vorsitz erst Anfang kommenden Jahres. Doch keiner zweifelt mehr daran, dass Lala Süsskind die neue Vorsitzende wird. Auch Spaltungsdiskussionen sind vom Tisch. Ex-Gemeindechef Meyer, der bereits mit seinem Austritt gedroht hatte, zeigt sich ebenso zufrieden wie Rabbiner Andreas Nachama. Meyer nennt den Wahlausgang ein Zeichen der Mitglieder für ihre Sehnsucht nach Frieden. Für Nachama wäre es die größte Freude, wenn endlich Stabilität erreicht werden könnte.


27. November 2007

Erinnerung an Nazi-Opfer
Ab Januar Denkmal für 200 000 Behinderte, die in der „T4-Aktion“ getötet wurden

Die Opfer der „T4-Aktion“ der Nationalsozialisten sollen ein würdiges Mahnmahl erhalten. Darüber sind sich die Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus einig. Ab dem 18. Januar 2008 soll ein temporäres Denkmal des Künstlers Horst Hoheisel vor der Philharmonie aufgestellt werden. An selber Stelle, in der Tiergartenstraße 4, war die Zentrale, von der aus die Euthanasie-Aktionen der Nazis gesteuert wurden. Das „Denkmal der grauen Busse“ ist den Todestransporten nachempfunden, bei denen ab 1940 fast 200 000 behinderte Menschen getötet worden waren. Ab September des kommenden Jahres soll dann an die Stelle des Denkmals dauerhaft eine Dokumentationsstele treten. „Das war ein einzigartiges Mordprogramm, das viel zu wenig bewusst ist“, sagte gestern Andreas Nachama, der geschäftsführender Direktor der Stiftung „Topographie des Terrors“ und Vorsitzender eines runden Tisches zur T4-Aktion, vor dem Kulturausschuss. […]


27. November 2007

Erstmals eine Frau an der Spitze
Lala Süsskind gewinnt Wahl der Jüdischen Gemeinde
Marlies Emmerich

Lala Süsskind wird Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde. Die 61-Jährige und der Ex-Diplomat Alexander Brenner haben bei den Gemeindewahlen am Wochenende die meisten Stimmen erhalten. Lala Süsskinds Bündnis "Atid" stellt auch 13 der 21 Parlamentarier und verfügt damit über die absolute Mehrheit. […]

Mit ihrem Sieg sind vorerst Spaltungsdiskussionen vom Tisch. Ex-Gemeindechef Albert Meyer, der bereits mit seinem Austritt gedroht hatte, zeigte sich ebenso zufrieden wie Rabbiner Andreas Nachama. […]


 26. November 2007

Bündnis «Atid» gewinnt Wahl in Berlins Jüdischer Gemeinde - Erstmals könnte eine Frau an der Spitze stehen
Christina Schultze

Nach jahrelangen heftigen Querelen setzt die Jüdische Gemeinde Berlins auf einen Neuanfang. Prominente Mitglieder erhoffen sich vom Ausgang der Wahl zum Gemeindeparlament die Überwindung der Grabenkämpfe. Klarer Sieger des Urnengangs wurde am Sonntagabend das Bündnis «Atid» (Zukunft), das mit 13 von 21 Sitzen die absolute Mehrheit errang. [...]

Der ehemalige Gemeindevorsitzende Andreas Nachama äußerte sich «sehr erfreut» über den Wahlausgang. Er schöpfe wieder Hoffnung auf einen Neuanfang. «Alle Gewählten bieten die Gewähr für Sachlichkeit und einen freundschaftlichen Umgang», sagte Nachama. Er traue Süsskind das Amt der Vorsitzenden zu. Die frühere Chefin der jüdischen Frauenorganisation WIZO sei durchsetzungsfähig. Auch die Gemeinde sei reif für die erste Frau an ihrer Spitze. [...]


22.November 2007

Berlins Juden liefern sich erbitterten Streit
Am Sonntag wählt die jüdische Gemeinde ein neues Parlament, das Ergebnis wird über die Zukunft des Vereins entscheiden. Aber ob die Gemeinde trotz erbitterter Streiterein um die Rolle der russischen Juden und Korruptionen noch die Kurve kriegt?

[…] Einen Vorschlag zur Befriedung machte unterdessen der Rabbiner Chaim Rozwaski. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin sollte sich in Zukunft in "Heilige Gemeinde von Berlin" umbenennen. Sein Kollege Andreas Nachama zweifelte in der "Berliner Zeitung" angesichts der Differenzen an der Wirkung solcher Appelle zum inneren Frieden: "Selbst 21 Engel müssten scheitern", sagte er.  


21.November 2007

"Selbst Engel müssten scheitern"
In der Jüdischen Gemeinde geht es vor den Wahlen wieder einmal drunter und drüber

Marlies Emmerich

Julius Schoeps ist vor mehr als einem Jahr aus der Jüdischen Gemeinde ausgetreten. Seitdem ist der bekannte Historiker und Leiter des Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrums oft auf Gemeindezusammenkünften zu sehen - man könnte sagen, öfter als vorher. Es scheint ihm Spaß zu machen, nur Zuhörer zu sein. […] Rabbiner Andreas Nachama spricht von einem Phänomen, das kaum zu erklären sei. Für ihn steht fest: "Selbst 21 Engel müssten scheitern."


15. November 2007

Selbst 21 Engel müssten scheitern
Was erwarten wir von den Neuwahlen in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin?
Rabbiner Andreas Nachama

Blickt man auf die Berliner Jüdische Gemeinde in der Zeit nach dem «großen Vorsitzenden» Heinz Galinski, stellt man fest, dass die 21 Mitglieder des Gemeindeparlamentes – gleichgültig ob sie ursprünglich gemeinsam in Listenverbindungen oder als Einzelkandidaten angetreten waren – nahezu immer innerhalb kürzester Zeit zu politischen Gegnern, zuweilen sogar zu persönlichen Feinden wurden. Davon abgesehen, dass dies kein Ruhmesblatt für eine Religionsgemeinschaft ist, tritt dieses Phänomen, das bei eingehender Betrachtung sogar schon gegen Ende der Ära Galinski zu konstatieren ist, derart regelmäßig auf, dass es sich hierbei um keinen Zufall handeln kann. Ich halte es dabei für abwegig, die Erklärung dieses Phänomens darin zu suchen, dass man den beteiligten Personen etwa Boshaftigkeit oder Unfähigkeit unterstellt. Blickt man auf die nunmehr 15 Jahre nach Heinz Galinski zurück, so handelt es sich um über 100 Personen, die in die Repräsentantenversammlungen gewählt wurden und dort aktiv waren. Es dürfte also auszuschließen sein, dass diese allesamt bösartig oder unfähig waren. Es sieht eher so aus, als könnten sich da schlicht und ergreifend einige nicht leiden. Das mag gelegentlich auch der Fall sein, erklärt aber ein so lange und andauernd festzustellendes Phänomen ebenfalls nur unzulänglich.

Weiterhin könnte man annehmen, dass es sich um ein Sprachproblem handelt. Doch es tritt auch über die deutsch-russische Sprachgrenze hinweg und innerhalb der einzelnen Sprachgruppen auf. Zudem war es, wie etwa in meiner Legislaturperiode, bereits vorhanden, als nur einige wenige russischsprachige Juden im Gemeinderat vertreten waren, die zudem der deutschen Sprache hundertprozentig mächtig sind. Wir könnten jetzt noch weitere soziologische Erklärungsmuster, etwa Herkunftsnationalitäten, Alterspyramide, Bildungsgefälle und ähnliche durchdeklinieren – sie alle versagen bei der Erklärung dieses Phänomens.

Wenn es also nicht die Personen das Problem sind, müssen wir nach dem fragen, was die 21 Gemeinderatsmitglieder zu beraten und die Vorstandsmitglieder dann umzusetzen haben. Sie müssen über Haushalt und Personal aller ihrer Einrichtungen entscheiden, die unterschiedlicher und gegensätzlicher nicht sein können. Konkret beinhaltet dies zum Beispiel die Entscheidung über die Besetzung von Rabbiner- und Vorbeterstellen einer Reformsynagoge, einer Reihe von konservativen Synagogen und mehrerer orthodoxen Synagogen. Das ist in etwa so, als müsse in der Generalversammlung eines Sportvereins, der neben der Sektion für Leichtathletik, auch Fußball-, Eishockey-, Basketball- und Handballabteilungen hat, über jeden einzelnen Spieler in jeder einzelnen Abteilungen entschieden werden. Und wären es 21 Engel, die in eine solche Versammlung gewählt würden, sie würden sich zerstreiten und scheitern. Im Sportbereich hat es solche Konstellationen auch gegeben. Sie wurden durch Verselbständigungen der einzelnen Abteilungen gelöst.

Eine Repräsentantenversammlung, die aus den einzelnen Institutionen der Gemeinde zusammengesetzt wird, hätte auch den Vorteil, dass ihre Mitglieder nicht mehr für sich selbst, sondern im Namen ihrer Einrichtung sprechen müssten. Sie wären zumindest teilweise in die Struktur der sie entsendenden Institution eingebunden. Nun hält die Jüdische Gemeinde zu Berlin den Begriff der «Einheitsgemeinde» hoch. Will heißen: die unterschiedlichen religiösen, kulturellen, sprachlichen und politischen Richtungen sind unter einem Dach vereint. Das ist ein von der evangelischen Kirche kopiertes Modell, wo unterschiedliche Konfessionen «uniert», das heißt zusammengefasst sind. Dort aber ist eindeutig geregelt, was zentral und was dezentral erledigt wird. In der jüdischen Gemeinde gibt es solche Regelungen nicht, da die einzelnen Einrichtungen keine Entscheidungskompetenz haben. Bis hin zu Pflegedienstleitern in den Seniorenheimen werden die Entscheidungen daher von den zentral Gewählten getroffen, bestenfalls können die Betroffenen gehört werden, ihre Empfehlungen oder Wünsche werden in aller Regel nicht berücksichtigt.

Diese Zwangsherrschaft des Zentralen macht Elternratsvertreter in den Schulen, Heimbeiratsvertreter in den Pflegeeinrichtungen, örtliche Synagogenvorstände zu mundtoten Scheinrepräsentanten nach außen und die Mitglieder der Repräsentantenversammlung zu mächtigen Despoten nach innen. Hier kann ein Orthodoxer seine Macht über liberale oder Reformsynagogen ausleben, hier werden Entscheidungsprozesse im besten Fall zu Gnaden-, im schlimmsten Fall zu Willkürakten.

An dieser Stelle klärt sich dann auch die Frage, warum die Jüdische Gemeinde zu Berlin über die Nachkriegsjahrzehnte in dieser zentralisierten Form ohne so gravierende Verwerfungen existieren konnte: Sie war nach Anzahl der Institutionen als auch nach Zahl der Mitglieder wesentlich kleiner und überschaubarer als heute.

Berlin ist aber noch in anderer Hinsicht ein Sonderfall: In allen anderen Bundesländern gibt es Landesverbände, in denen die einzelnen Synagogengemeinden Mitglied sind. Keine dieser Synagogengemeinden verfügt auch nur ansatzweise über eine solche breite Vielfalt an Einrichtungen wie die Jüdische Gemeinde zu Berlin. Wenn man also hier in Berlin den einzelnen Teilbereichen mehr Autonomie zugestehen würde, könnte die Gemeinde Dachverband, das heißt Landesverband oder Einheitsgemeinde, bleiben: Die einzelnen Synagogen würden ein Stück weit verselbständigt und könnten gleichberechtigt nebeneinander auftreten – hier in Berlin könnte zum Beispiel auch ein russischsprachiger jüdischer Kulturverein oder ein Verein der ehemaligen Rotarmisten neben den Synagogen bestehen. So hätte jeder einen Ort, wo er sich entfalten und bestimmen kann. Ziel sollte in jedem Fall eine Struktur sein, die es ermöglicht, dass sich die einzelnen Einrichtungen nicht gegenseitig bevormunden. Es gibt doch nichts Misslicheres, als wenn ein größtenteils orthodoxes Gremium über einen Reformrabbiner zu entscheiden hat.

Was erwarten wir also von den Neuwahlen? Leider nichts Neues, denn mir ist nicht bekannt, dass es eine Wahlgruppierung gibt, die über eine Reform der Gemeindeverfassung nachdächte. Es bleibt nur zu hoffen, dass die bereits einzelnen verfassten Gemeindestrukturen, wie Gesamtelternvertretungen, Heimbeiräte oder Synagogenvorstände, den Weg zu einer Emanzipation im Sinne einer Autonomisierung vorangehen, um den Weg für eine Neuaufstellung der Gemeinde zu weisen.

 

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