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Berliner Zeitung, 24. April 2003
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Wer geht denn schon
nach Israel?
[...] Wie konnte Berlin wieder Heimatstadt für Juden werden, die
die Shoah überlebt haben? Diese Frage haben die Historiker Ulrich
Eckhardt und Andreas Nachama nicht nur Eva Kemlein, sondern weiteren
13 Berliner Juden gestellt und darauf ganz unterschiedliche Antworten
erhalten. "Es stimmt alles und es stimmt auch nicht", sagt
Nachama. Diese Ausstellung und das dazugehörige Buch sind keine
dokumentierte Geschichte. Vielmehr haben die beiden Historiker Biografien
in der Ich-Form zusammengestellt und die Befragten einfach erzählen
lassen. Eckhardt und Nachama wollen zeigen, dass jüdisches Leben
im Nachkriegsdeutschland vielfältige Erinnerungen wecken kann.
[...]
Heinrich Simon, Lilli Nachama und der langjährige Vorsitzende der
Ostberliner Jüdischen Gemeinde, Peter Kirchner, unterscheiden sich
deutlich von der Sozialistin Ingeborg Hunzinger, die, wie sie betont,
wenig mit der jüdischen Religion gemein hat. Zu den Befragten gehören
auch Ruth Galinski, Witwe des 1992 verstorbenen Zentralratsvorsitzenden
Heinz Galinski, der Berliner Ehrenprofessor Ernst Cramer und der langjährige
Gemeindevorsitzende Jerzy Kanal, Überlebender des Warschauer Ghettos.
"Ein Versuch, die Facetten jüdischen Lebens darzustellen",
so Nachama. Die Gespräche schwanken zwischen Resignation und Engagement,
zwischen unendlicher Traurigkeit und Ankunft in einer veränderten
Welt. "Wenn ich als Überlebender sehen muss, dass junge Nazis
über den Kudamm marschieren dürfen, dass das hingenommen wird
in diesem Land", beklagt nicht nur der Berliner Manfred Alpern.

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Hagalil Online, im April 2003 |
Gudrun
Wilhelmy
[...] Die
Ausstellung ist beachtenswert konzipiert. Die Farben des Buchumschlages
sind dabei aufgegriffen worden und selbstverständlich die einfühlsamen
Portraitfotografien von Elke Nord. Im Eingangsbereich sind auf Pulten
zusätzlich drei kleinere Fotografien der Interviewten zu sehen, daneben
ein charakterisierendes Zitat und - sehr schön - das gesamte Interview
als Abdruck zum Lesen ausgelegt.
Auf diese Weise können Besucher die Persönlichkeiten recht schnell
erfassen. Die Interviews verleiten zum Lesen und wer nur schnell einen
Einblick gewinnen will, findet sich fast ungewollt plötzlich mitten
im Interviewtext - oder bereits an dessen Ende. Die Texte sind so redigiert
und den Prämissen einer schriftlichen Veröffentlichung angepasst,
doch genau dass, was den einzelnen Menschen besonders macht, spricht aus
den Sätzen.
[...] Überraschend ist jedoch eine technische Raffinesse in der Ausstellung.
Mit Hilfe einer Software ist in den einzelnen Ausstellungskojen immer
wieder ein Teil des Original-Interviews eines der Portraitierten zu hören.
Oder ist es zu sehen, weil es möglich ist, der sprechenden Person
zugleich ins Gesicht zu sehen? Um einer Übertönung vorzubeugen,
sind nicht immer in allen Kojen gleichzeitig Stimmen zu hören. Denn
dass, was zu hören ist - oder zu lesen - verwickelt diejenigen miteinander
ins Gespräch, die dort stehen und zuhören.
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Jüdisches Berlin 06/2003 |
Begehe
ich Verrrat?
Esther Slevogt
[...] In der Textanthologie, deren Beiträge auf der Basis von Tonband-Interviews
entstanden sind, kann man noch einmal einige Schicksale und Geschichten
jener Generation nachlesen, ohne die es ein jüdisches Leben in Deutschland
heute nicht geben würde. Der Stichtag, von dem die biografischen
Erzählungen meist ihren Ausgang nehmen, ist der 8. Mai 1945, der
Tag der deutschen Kapitulation, den die einzelnen als Tag der Befreiung
ganz unterschiedlich erlebten: auf den Straßen von Tel Aviv, irgendwo
im Exil, als amerikanischer Soldat, als "Illegale" im Untergrund,
als Emigranten, Flüchtlinge oder KZ-Insassen. Der 8. Mai ist auch
Spiegelachse zu r Vorkriegsgeschichte der Familien, deren Entrechtung
und Ermordung. Oft sind die Erzähler die einzigen Überlebenden
ihrer Familien. [...]
Juli August 2003 
14 jüdische Berliner
Von Rosa Lewin
Wenn man mit älteren Berliner Juden über ihr Leben nach der
Schoa spricht, darin schließt das zwangsläufig zwei Fragen
ein: Wie hast du überlebt? und Warum bist du hier geblieben? So ist
das auch in den Interviews für die Ausstellung "Leben nach der
Schoa« im Centrum Judaicurn, die eine Gruppe von Mitgliedern des
JKV kürzlich besucht hat. 14 Berliner Juden, von Ruth Galinski bis
Ingeborg Hunzinger, von Jerzy Kanal bis Peter Kirchner, von Eva Keimlein
bis Lilli Nachama gaben ihre Schicksale zu Protokoll, was man in der Ausstellung
nachlesen kann. Ihre Antworten auf die Frage nach den Motiven der Entscheidung
für Berlin fielen höchst unterschiedlich aus. Eva Kemlein, bekannte
und erfolgreiche Theaterfotografin, nennt Politische Gründe, die
interessante Arbeit an den Berliner Bühnen und schließlich
die vielen Freunde [...]. Sie sagt: "Es gab für mich nie die
Versuchung, das Land zu verlassen.« Jerzy Kanal, langjähriger
Stellvertreter und über fünf Jahre Nachfolger Heinz Galinskis,
erklärt, es habe sich so ergeben, und es bereite ihm noch immer mentale
Probleme an diesem Ort zu sein. Ernst Cramer hingegen, der Vorstandsvorsitzende
der Axel-Springer-Stiftung, kehrte als amerikanischer Soldat nach Deutschland
zurück und entschloss sich zu bleiben. »Meine Entscheidung
für Deutschland bleibt richtig«, konstatiert er. "Es ist
gut für Land und Demokratie, dass Juden wieder hier leben und arbeiten.«
Die Bildhauerin Ingeborg Hunzinger glaubte an die kommunistische Perspektive
der DDR als ein anderes, erneuertes Deutschland, als aritifaschistischer
Staat. [...] Der Arzt Peter Kirchner bilanziert sein 20-jähriges
Wirken als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Ostberlins und sagt,
er sei in seinem Leben in der DDR kein unglücklicher Mensch geworden.
Die Entscheidung zum Bleiben in Ostberlin sei insgesamt nicht falsch gewesen.
»Wenn ich heute in die Oranienburger Straße komme und den
Glanz der Kuppel sehe, habe ich das Gefühl, dass sich unsere Hartnäckigkeit
gelohnt hat. Lilli Nachama verwitwete Ehefrau von Oberkantor Estrongo
Nachama räumt fünf Jahrzehnte nach der Befreiung ein: »Als
in den letzten Jahren die NPD so hoch kam muss ich ehrlich sagen: Wenn
man das vorher gewusst hätte, wäre man bestimmt nicht hier geblieben.
Denn man hat doch geglaubt, mit 1945 ist endlich endlich Ruhe und die
braune Pest ist weg[...].
Jüdische
Allgemeine 14. August 2003
Leben nach der Schoa
[...] ein Sammelband mit Tonband Interviews [...], den Andreas Nachama
und Ulrich Eckhardt herausgegeben haben. Sie sprachen mit Menschen, die
nach 1945 nach Berlin zurückgekommen waren - trotz allem - oder,
die der Zufall hierher verschlug [...].Es sind ergreifende, traurige,
abenteuerliche Geschichten, die von erlittenem Leid, Mut, Kraft und Lebenswillen
künden [...]
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