Tagebuch


17. August 2003
Tabu, Toleranz, Akzeptanz
Wie gleichgeschlechtliche Paare in der Jüdischen Gemeinde leben
Anke Ziehmer
[...] Auch wenn Andreas Nachama die Standpunkte seiner Kollegen respektiert, sieht er in schwul-lesbischen Paarbeziehungen nichts grundsätzlich Verwerfliches und spricht ihnen gern seinen Segen aus. "Ich ermuntere die Leute ja nicht dazu, aber die gesellschaftliche Wirklichkeit schafft nun mal die Bedingungen, denen wir uns als Gemeinde stellen müssen", sagt der liberale Rabbiner aus dem Hüttenweg. "Daß es hier nicht um eine Chuppa geht, und die Lebenspartnerschaft auch nicht den Status einer heiligen Familie erlangt, steht dabei außer Frage." Vor gut zwei Jahren gab es erstmals Anlaß, über dieses Thema nachzudenken - zwar nicht über religiöse Zeremonien, aber doch über gleichgeschlechtliche Paare ganz allgemein - denn Benno und Werner hatten ihn als Trauzeugen zur Eintragung ihrer Lebenspartnerschaft gewählt. "Diese standesamtliche Eintragung zu bezeugen war eine Freude für mich, weil es für sie wichtig war, diesen Lebensschritt im Kreis ihrer Freunde zu tun", erzählt der Zweiundfünfzigjährige, "aber auch, weil ich plötzlich Teil einer Szenerie war, die ich nur in Amerika für möglich hielt."

Doch bei allem Fortschritt, dem sich Andreas Nachama nicht von vornherein verschließen will: Wenn er dem Treiben unter den schwul-lesbischen Chuppot in New York oder San Francisco zuschaut, stößt auch er an seine Grenzen. "Kidduschin für gleichgeschlechtliche Paare ist für mich nicht vorstellbar", sagt der Rabbiner aus tiefer Überzeugung - und unterscheidet sich darin gar nicht so sehr von seinen orthodoxen Kollegen. "Aber vielleicht sieht das die kommende Rabbinergeneration schon völlig anders. Glücklicherweise hat das Judentum zu aller Zeit die Kraft gehabt, aus sich selbst heraus zu leben und um Neuerungen auch zu streiten." [...] mehr

 


7. August 2003

Heinz Knobloch: Die Trauerfeier im Berliner Rathaus
Auf Wunsch seiner Familie fand am 7. August 2003 im Großen Saal des Roten Rathauses die Trauerfeier für den am 24. Juli 2003 verstorbenen Berliner Feuilletonisten und Schriftsteller Heinz Knobloch statt. Das Programm hatte Knobloch selbst 1990 zusammengestellt.
Nach der Traueransprache des Chefs der Senatskanzlei, Staatssekretär André Schmitz, erklang Mozarts "Rondo allegro" aus dem Konzert für Klarinette und Orchester A-Dur (KV 622) in der Interpretation von Benny Goodman. Darauf folgend sprachen der Verleger Norbert Jaron und Rabbiner Andreas Nachama.
Andreas Nachama sagte laut Redemanuskript u.a.:
"Mit uns sind auch viele, die ihn zunächst genauso kennenlernten wie ich, nämlich zunächst als Leser. Es war am 19. April 1982 im Friedenstempel Rykestraße, als mir Klaus Gysi, der damalige Staatssekretär der DDR für Kirchenfragen, am Rande eines Synagogenkonzertes des Magedeburger Domchores mit meinem Vater Estrongo Nachama, Heinz Knobloch als Journalisten der ,Wochenpost' vorstellte. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich hier sage, daß mir bis dahin der Name ,Wochenpost' eher unbekannt war. ,Herr Moses in Berlin' entfuhr es mir spontan, und ich blickte in ein breit lächelndes Gesicht mit Augenfältchen, und es entspann sich ein erster Dialog um das Zitat, das er diesem Buch, nein diesem Denkmal, das er Moses Mendelssohn zunächst in Buchform setzte, vorangestellt hatte.
'Nach Wahrheit forschen,
Schönheit lieben,
Gutes wollen,
das Beste tun.
'
Heute wissen wir, wir könnten diese Worte auch dem Wirken von Heinz Knobloch voranstellen. Damals aber wollte ich von ihm wissen, warum er die nächste Zeile weggelassen hat, die da heißt ,...das ist die Bestimmung des Menschen'. Das Lächeln entschwand aus Knoblochs Gesicht, und er verwies ernst in seinem ihm eigenen Tonfall auf die mörderische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Der Satz gelte für Mendelssohn und sein Denken und Tun, aber doch wohl nicht für die Menschen im Allgemeinen."

  
Ferner führte Nachama aus: "Heinz Knobloch war nicht jüdischer Herkunft, obwohl ihm dies oft unterstellt wurde. Er nahm dies mit Humor, ja es hat ihm bei seiner Identifikation mit dem Charakter Mendelssohn fast Spaß gemacht, und er kommentierte es gelegentlich mit Friedrich Engels, übrigens mit diesem Zitat auch in Herr Moses verewigt, mit den Worten: ,(...) bin ich doch selbst [von der 'Gartenlaube'] zum Juden gemacht worden, und allerdings, wenn ich wählen müßte, dann lieber Jude als Herr von.'
Warum erwähne ich das hier? Es ist ihm nicht nur unterstellt worden, jüdisch zu sein, sondern jüdisch zu denken. Wie war denn die Methode unseres Heinz Knobloch? Lassen wir ihn selbst zu Worte kommen:
'Ich selber bin so ein skeptischer Leser. Daher gebe ich hier in der Weise, in der sich selbes aufnehmen möchte: dokumentarisch. Oder lieber gesagt: phantasievoll-exakt. Die Fakten kommen als Regeln, mit den dazugehörigen oder daraus entstehenden Gedanken läßt sich spielen, soll gespielte werden.'
Konkret:
,Wenn wir uns wie ein Verkehrspolizist auf den Rosenthaler Platz stellen, den Rücken nach Norden, das Gesicht dem Alten Berlin zugewandt, und die Augen schließen, dann sehen wir das enge Tor in der Mauer. Linker Hand ist das Wachhaus, rechts sitzt der Einnehmer, der Gebührenzieher, denn für nichts ist nichts.'
Das ist die Methode einer jeden guten chassidischen Geschichte, die Exegese eines biblischen Textes ist - in Heinz Knoblochs Worten: ,phantasievoll-exakt'!"
Rabbiner Nachama schloss mit folgender Passage: "Eingangs sagte ich, dass der Leitspruch über dem Mendelssohnbuch auch über Heinz Knoblochs Leben stehen könnte. Fügen wir ,phantasievoll-exakt' die Zeile hinzu, die Heinz Knobloch weggelassen hat:
Nach Wahrheit forschen,
Schönheit lieben,
Gutes wollen,
das Beste tun.

Das war die Bestimmung
des Menschen Heinz Knobloch.
Es war für alle, die ihn kannten, ein Privileg, ihn gekannt zu haben, seine Taten und seine Bücher machen ihn unvergeßlich."                                                                mehr
 

13. Juli 2003
Einweihung des Friesenberghauses
  


in 2489 m Höhe in den Zillertaler Alpen wurde mit einem interreligiösen Festakt das Friesenberghaus eingeweiht, um als internationale Begegenungsstätte des Deutschen Alpenvereins gegen Haß und Intoleranz zu wirken.
In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts waren jüdische Mitglieder aus dem Deutschen Alpenverein auf Grund eines "Arierparagraphen" ausgeschlossen worden. Sie erbauten diese Hütte zusammen mit soldarisch mit ihnen verbundenen nichtjüdischen Alpinisten auf. Im weiteren Verlauf wurde die Hütte "arisiert". Seit 1980 kündet eine Gedenktafel von der traurigen Geschichte des Hauses. Mit der Widmung als Begegnungsstätte versucht der Deutsche Alpenverein den Intentionen der Erbauer nahezukommen.

Dokumentation des Deutschen Alpenvereins zum Friesenberghaus

 

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