Tagebuch

 
Berlin Aktuell Juni 2003 Nr. 71, S. 24f  

Vor 70 Jahren - "Ich übergebe der Flamme die Bücher von..."
Andreas Nachama
 [...] Politik ist oftmals an ihrer Symbolik ablesbar: Die rückwärts gewandte Fortschrittsfeindlichkeit, die tumbe Ignoranz und die zu allem entschlossene Brutalität der NS-Machthabeer war bereits in den ersten Wochen und Monaten ihrer Regierungszeit verifizierbar. [...] Auf dem Bebelplatz in Berlin-Mitte steht Micha Ullmans Denkmal, das man zunächst nicht sieht. Was sieht man? Unter einer Glasplatte hat man Einblick in leer geräumte Bücherregale genau unter jenem Platz, auf dem der Scheiterhaufen am 10. Mai 1933 stand. [...] Was zukünftige GEnerationen in die leer geräumten Regale projizieren, wissen wir nicht, aber die Zeichen für die Erinnerung dessen, was geschah sind in Stein gehauen: Sie begleiten usneren Weg 'aus dem Dunkel ins Dämmer'".
 

TAGEBUCHEINTRAG, 17. Mai 2003
Es ist Schabbat. Vor dem Gang zur Synagoge blättere ich den Tagesspiegel durch. Natürlich auch den Lokalteil, dessen letzte Seite dem Geschehen im Brandenburgischen Umland gewidmet ist und von mir nur auf die Berichte von Frank Jansen durchgesehen wird. Frank Jansen schreibt unter der Überschrift "V-Mann warnte Neonazis vor Razzia" einen großen Artikel mit nebenstehender Chronik. Ich merke mir in Gedanken vor den Artikel nach der Synagoge zu lesen und blättere weiter. Plötzlich - ein zwei Seiten weiter fällt mir auf, daß da auf dem riesigen Bild über dem vierspaltigen Artikel jemand abgebildet war, der aussieht wie ich. - Zurückgeblättert - aufgeschlagen: Das bin ich an jenem furchtbaren Tag 2001, den ich nie vergessen werde, weil er zu den traurigsten meiner Amtszeit als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zählt.

Auf dem Weg zu einer Besprechung, die in der Joachimstaler Straße unweit des Kurfürstendamm stattfinden sollte, klingelte mein Handy. Am anderen Ende der Leitung war Rabbiner Pressman aus Potsdam, der mir geschockt erzählt, auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam wär ein Brandanschlag verübt worden und ich bat, ihm beizustehen, da sein Gemeindevorsitzender verreist sei.

Nach den nötigen Anweisungen an den Gemeindechauffeur und die begleitenden Berliner Polizisten auf Höhe der Gedächtniskirche, Kurs auf den jüdischen Friedhof Potsdam. Dort angekommen erwarten mich neben R'Pressman der Brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm, sein Staatssekretär Eicke Lancelle und Journalisten. Soweit die polizeilichen Spurensicherer es erlauben, gehen wir an der zerstörten Tür in die Trauerhalle. Ein merkwürdiger Brandgeruch liegt in der Luft. Obwohl ich den 9. November 1938 nicht erlebt habe, kommt mir aus den Schilderungen Heinz Galinskis, der damals fassungslos vor der brennenden Synagoge Fasanenstraße stand, und immer wieder den Brandgeruch in seinen Schilderungen hervorhob, dieser Sinneseindruck nicht aus dem Sinn... Schönbohm und Lancelle waren persönlich sehr betroffen. Das alles war für mich schon Geschichte, abgeschlossenes Kapitel meiner Geschichte, gelegentlich wiederkehrend durch neue antisemitische Straftaten - und plötzlich wieder so präsent, als wäre es gestern gewesen. Durch ein Photo - durch dieses Photo:


 
Der Tagesspiegel, S. 15 Brandenburg: 17. Mai 2003  
   
8. Mai 2003
Moses Mendelssohn Oberschule
Einweihung einer Gedenktafel
für die im April 1933 von ihrer Schule verjagdten jüdichen Lehrer.                .....mehr

 

 

 
Gedenkzeit anläßlich des 85. Geburtstages
von Oberkantor Estrongo Nachama S"L
4. Mai 2003 Synagoge Hüttenweg

Konzert synagogaler Musik mit Kantor z.A. Alexander Nachama
Chor der Synagoge Herbartstraße, Ltg. Monika Almekias-Sigl


Licht ist nur die Lehre
Vortrag von R'Andreas Nachama

ca. 500 jüdische und nichtjüdische Berliner nahmen an dieser Gedenkveranstaltung im ehemaligen Chaplain Center, die wegen der Teilnehmerzahl spontan in den großen Saal verlegt weden mußte, teil.

 

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