Tagebuch Die Bundesrepublik wurde am 23. Mai 1949 mit der Verkündung des Grundgesetzes gegründet. Dies wurde damals nicht als Wende empfunden. Große Freude kam nicht auf, stand doch das neue Deutschland im Schatten der Trümmer des "Dritten Reiches". Sein demokratischer Vorläufer, die erste deutsche Republik von Weimar, hatte in den 14 Jahren ihrer Existenz 20 Kabinette verschlissen. Ab dem 30. Januar 1933 inszenierte sich eine Rechtsstaat, Republik und Demokratie feindlich gesonnene Clique selbst mit dramatischen Lichtkegeln, mit lautem Trommelschlag und - aus heutiger Sicht, aber doch objektiv betrachtet - oft mit Slapstick-Auftritten eines Reichskanzlers und dessen Getreuen, für ein "1000jähriges Reich", das dann zwölf Jahre, vier Monate und acht Tage dauerte. Vor aller Augen konnte - ohne effektiven Widerstand - innerhalb von 150 Tagen Deutschland "gleichgeschaltet" werden. Mehr als 50 Millionen Tote später, am 9. Mai 1945, wurde um 0.16 Uhr die auf den 8. Mai 1945 datierte Kapitulationsurkunde von Hans-Georg von Friedeburg, Wilhelm Keitel und Hans-Jürgen Stumpff für das Oberkommando der Wehrmacht unterzeichnet. Deutschland war - wie große Teile Europas - ein Trümmerhaufen. Die häufig mediokren, aufgeblasenen Angehörigen der NS-Eliten hatten sich ihrer Verantwortung durch Flucht oder Selbstmord entzogen. Europa wurde befreit, Deutschland wurde besiegt, die Mehrheit der Deutschen fühlte sich eher verführt, vernichtet und verraten. Millionen mußten westwärts fliehen, weil die, die aufgebrochen waren, um den "Lebensraum" für das deutsche Volk zu vergrößern, nicht nur bewirkt hatten, daß das ganze Deutsche Reich durch die Anti-Hitler-Koalition besetzt worden war, sondern auch östlich der Oder völlig neu aufgeteilt wurde. So mißtraut man 1949 bei der Gründung der Bundesrepublik angesichts der Trümmer, vor denen man saß, den Proklamationen der neuen Politik. Aber Deutschland war weder im Westen noch im Osten im Chaos versunken, wie beispielsweise der Irak nach dem jüngsten Feldzug. Das belegen eindrucksvoll Fotos aus der Ausstellung "Berlin 1945", die am 4. Mai in der Zitadelle Spandau eröffnet wird und bis zum 2. Oktober 2005 gezeigt wird. Wie man an dem ersten Foto, das an der Schöneberger Mansteinstraße/Ecke Großgörschenstraße aufgenommen wurde, sieht, wurden schon 1945 die Schutthaufen und Ruinen von den Trümmerfrauen umgewandelt in säuberlich aufgeschichtete Bausteinquader. Keine Versprechungen, keine lauten clownesken Politikerauftritte, sondern das beharrliche Beklopfen der Ziegelsteine zerstörter Häuser - das ist der Ton der neuen Epoche. Ohne Inszenierung, ohne Scheinwerferkegel und ohne Trommelwirbel werden hier mit lutherisch geprägter Ergebenheit im Osten wie im Westen die Grundlagen für unser heutiges Sein gelegt. Die Fotografien der pickel- und hämmerschwingenden Trümmerfrauen machen deutlich: Aus dem Schutt der Kriegstrümmer wuchs die stumme Hoffnung auf eine Selbstbefreiung aus den Trümmern durch Fleiß. Die Ausstellung "Berlin 1945" wurde 1995 von der Stiftung Topographie des Terrors unter Leitung von Professor Reinhard Rürup erarbeitet und jetzt für die Wiederaufnahme in der Zitadelle Spandau von Klaus Hesse kuratiert. Sie zeigt Fotos und Dokumente, die sich auf das Jahr 1945 beziehen. Sie versucht das dumpfe Fahrwasser ewig wiederkehrender Selbstbemitleidung zu vermeiden, jene deutsche Befindlichkeit, die die Opfer der deutschen Kriegsmaschinerie und des NS-Terrors und die deutschen Opfer alliierter Kriegshandlungen gleichsetzt. Die Dokumentation hingegen wirft den Blick auch über den Deckelrand der Selbstbespiegelung. In Rückblicken dokumentiert sie die Stadtzerstörungen, die von Berlin ausgingen, und den NS-Terror im "Reich" genauso wie die europaweiten NS-Kriegsverbrechen, die in der Prinz-Albrecht-Straße 8, der Zentrale der Gestapo, koordiniert wurden. In der Dokumentation werden der Völkermord und der Rassismus der NS-Herrschaft, die Entrechtung und Vertreibung der deutschen Juden ebenso wie der Mord an den europäischen Juden gezeigt. Die 1945 fotografierte Ruine des Kaufhauses Hermann Tietz am Alexanderplatz, nach seiner "Arisierung" Hertie genannt, belegt die Vertreibung und Enteignung der Familie Tietz und was davon zehn Jahre später blieb auf eigene Weise. Obwohl dieses Foto nur zerstörtes Mauerwerk zeigt, kann man an der Kaufhaus-Ruine, anhand des Stahlskeletts und dem auf merkwürdige Weise fast unbeschädigt gebliebenen Fassadenschriftzug erahnen, welche historischen Wenden vom Konsumtempel zum Schutthaufen führten. Wie die jener aus deutscher Kriegsgefangenschaft und KZ-Haft Befreiten auf dem dritten Foto. Wie Hunderttausenden anderen, deren Schicksal sie teilen, ist ihnen ist wohl zum Lächeln, aber auch nicht zum Jubeln zumute. Aber sie gehen, zum Teil paarweise, einer neuen Zukunft entgegen. Wie man sich ihr Denken vorstellen könnte, hat 1982 - kurz vor seinem 70. Geburtstag - Heinz Galinski formuliert, ab 1948 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin und später Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland. Was er 1945 hoffte, als er selbst aus dem KZ befreit wurde, spricht auch aus den Gesichtern der Befreiten auf diesem Foto. "Ich [habe] mir gedacht, daß eine Welt entstehen würde, in der nicht nur Frieden und Freiheit herrschen würden, sondern ich habe mir eine Welt vorgestellt, in der die Menschheit aus dieser schrecklichen Situation, aus diesem schrecklichen Erleben nicht nur einiges, sondern viel lernen würde. Daß der Krieg, daß die Auseinandersetzung mit Waffen abgelöst werden würde durch die Liebe unter den Menschen, das war eine Selbstverständlichkeit in unserem Denken! Wie konnte man etwas anderes annehmen?! Wenn man in einer solchen Situation lebt und doch die vage Hoffnung hat, eines Tages herauszukommen, dann glaubt man, es wird sich eine Welt auftun, in der die Menschenliebe und das Verständnis unter den Menschen das erstrangige Gebot sein würden. Daß Verständnis unter den Völkern herrschen würde, daß die Welt einsehen würde, daß nach diesen Millionen von Opfern jetzt eine Zeit anbrechen würde, in der Krieg nicht das geeignete Mittel sei, um Differenzen aus der Welt zu schaffen." Andreas Nachama leitet die Stiftung Topographie des Terrors. Von 1997-2001 war er Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Andreas Nachama Artikel erschienen am 1. Mai 2005 in ![]()
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