Fortsetzung Netzeitung Interview 6. Juni 2007

Netzeitung.de: Mangelndes Wissen über den Holocaust - war das mit ein Grund, das Berliner Holocaust-Institut ins Leben zu rufen?

Nachama: Man kann nicht nur wissenschaftliche Werke über den Holocaust produzieren, sondern sollte auch versuchen eine neue Generation von Historikern auszubilden, die - in angelsächsischen Staaten nennt man das Public History - nicht in der Schule, sondern da, wo die Menschen leben, Geschichte vermitteln: also in Ausstellungen, im TV, im Radio, im Internet oder in Zeitungen. Das wird hier am Beispiel Holocaust und der Toleranz versucht und ist meines Erachtens in dieser Schärfe neu.

Netzeitung.de: Wer profitiert von Ihrer Arbeit?

Nachama: Alle. Über die sicherlich im Laufe der Zeit auch erscheinenden Forschungsergebnisse auch diejenigen, die diese Ergebnisse im Internet oder in herkömmlichen wissenschaftlichen Publikationen lesen - die Absolventinnen und Absolventen sowieso.

Netzeitung.de: Gerade in den neuen Bundesländern soll es auch Lehrer geben, die über die deutsche Vergangenheit vor 1945 wenig wissen. Sehen Sie diesen Missstand auch und wenn ja: kann hier das Holocaust-Institut unterstützend wirken?

Nachama: Wo das in Berlin angesiedelte Institut letztlich wirken wird, ist schwer zu sagen. Es hängt von den Studenten und ihrer Arbeit dann im Beruf ab, wo sie wirken.

Netzeitung.de: Welche Schwierigkeiten sehen Sie generell bei der Vermittlung des Holocaust. Die Lehrergewerkschaft warnte unlängst, zuviel NS-Geschichte könnte kontraproduktiv sein, man müsse aufpassen, dass die Schüler «nicht die Jalousien herunter lassen». Besteht die Gefahr des Überdrusses bei dem Thema?

Nachama: Besser könnte man wahrscheinlich die Notwendigkeit der Einrichtung dieses Instituts nicht begründen - die Präsidentin des Zentralrats, Frau Knobloch, hat ja hierzu auch Stellung genommen. Die wenigen Institute in Deutschland, die sich in der Forschung und Lehre mit dieser Vermittlung befassen, haben eine riesige Aufgabe vor sich, denn durch das Abtreten der Zeitzeugen, müssen neue, überzeugende und erfolgreiche Wege herausgestellt bzw. entwickelt werden.

Netzeitung.de: Erfahren Sie von der Politik ausreichend Unterstützung für Ihre Arbeit?

Nachama: Das kann man nicht bestreiten: Die Politik in Deutschland - parteiübergreifend - macht sich Gedanken, wie der Gründungsgedanke Deutschlands - Ost wie West - nämlich ein Scheitern der Weimarer Republik, das zum Dritten Reich führte - vermieden werden kann, welche Konsequenzen aus dem Trümmerhaufen Europa 1945 für die Zukunft gezogen werden müssen. Unser Grundgesetz ist eine solche Folge: Es schützt die Demokratie vor seinen Feinden - und Europa schließt die Nationalstaaten zusammen, um einen solchen Krieg wie zwischen 1939 und 1945 für alle Zukunft unmöglich zu machen.

Dazu gehört auch die Toleranz innerhalb einer Gesellschaft. Das wissen unsere Politiker und deshalb stehen sie auf der Seite der Gedenkstätten und Institute die Zeitgeschichte dokumentieren, erfoschen und Vermitteln.

Andreas Nachama ist Gründungsdekan des Holocaust-Instituts und zugleich Direktor der Topographie des Terrors in Berlin. Mit ihm sprach Dietmar Neuerer

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