tip Interview 31. mai 2007

tip : Sehen sie einen Lösungsweg? Sie waren immerhin mal der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde?
Nachama : Alle anderen Bundesländer haben Landesverbände, und da sind die einzelnen Synagogen Mitglied. Ich glaube, man nähme hier viel Druck raus, wenn man es hier in Berlin genauso machen würde. Wenn man also die Gemeinde als Einheitsgemeinde belässt, das ist dann sozusagen der Landesverband, und die einzelnen Synagogen werden ein Stück weiter verselbständigt und könnten gleichberechtigt nebeneinander auftreten - hier in Berlin könnte zum Beispiel ein Kulturverein  oder ein Verein der ehemaligen Rotarmisten (lacht) neben den Synagogen stehen . So hätte jeder einen Ort, wo er sich entfalten und bestimmen könnte.  Die einzelnen Einrichtungen dürfen sich nicht gegenseitig bevormunden - es gibt doch nichts misslicheres, als wenn eine größtenteils ortho do xe Gemeinde über einen Reformrabbiner zu entscheiden hat. Das können die gar nicht, die können dann nur nein sagen. Und umgekehrt ist es genauso.

tip : Die Diskussion in der Berliner Jüdischen  Gemeinde geht aber nicht in Richtung Landesverband sondern in Richtung Spaltung.
Nachama : Das glaube ich nicht. Alb ert Meyer ist doch auch schon zurückgerudert - er will mit 350 Leuten seine eigene Synagoge gründen, und nicht eine neue Gemeinde.  

tip : Aber die Front verläuft doch nach wie vor zwischen West-Berlinern und Russen.
Nachama : Ich glaube nicht, dass West-Berliner gegen die Russen das Problem sind. Das sieht zwar so aus, die Fraktionen laufen aber anders.  

tip : Liberal gegen orthodox?
Nachama : Ist auch ein Aspekt, ist aber auch nicht die ganze Wahrheit. Ich glaube, die ganze Wahrheit ist viel weniger prosaisch und lässt sich politikwissenschaftlich nicht erklären. Da können sich einige einfach schlicht und ergreifend nicht leiden.

tip : Wie ist denn der Altersdurchschnitt in der jüdischen Gemeinde?
Nachama : Schlecht, also hoch.  

tip : Was ist mit der Jugend? Haben die keine Lust auf Gemeindearbeit?
Nachama : Die haben andere Probleme als Gemeinde oder Religiosität . Da dreht sich viel um die Frage, wer wen heiratet. Erst w enn Kinder kommen, geht es um die Frage nach Kindergarten, Schule und da nn engagiert man sich. Ich habe mich auch erst relativ spät interessiert. Ich bin zwar immer in die Synagoge gegangen aber ich habe mich nicht in der Gemeinde engagiert.

tip : Dafür engagieren Sie sich jetzt überproportional, indem Sie sogar noch einen weiteren Job angenommen haben, nämlich als Professor für Holocaust-Studies am Touro College. Was machen Sie ganz konkret?
Nachama : Es gibt Pflicht und Kür. Pflicht ist sicherlich Überblickswissen herzustellen über den Verlauf des D ritten Reichs und über die Forschungen, die in den letzten fünf Jahrzehnten gelaufen sind. Die Kür ist aus meiner Sicht die Vermittlung des Ganzen. Wie kann man Zeitgeschichte am Beispiel des Holocaust in Ausstellungen vermitteln. Dann muss man sich fragen, wie werden Ausstellungen gemacht. Oder: wie wird im Fernsehen Zeitgeschichte vermittelt? Man kann sich Guido Knopp angucken und sagen, das könnte man alles ganz anders machen. Wie werden O-Töne verwendet, wie werden Interviews geführt? Es gibt eine ganze Reihe an Dingen, die deshalb jetzt akut werden, weil die Generation der Zeitzeugen stirbt.

tip : Was ist  das Neue daran?
Nachama : Wir haben gelernt, eine historische Darstellung befindet sich zwischen zwei Buchdeckeln, die berücksichtigt unterschiedliche Ansatzpunkte und reflektiert nicht nur was man selber sagt, sondern auch, was andere gesagt haben. Ausstellungen dagegen werden auf einen Punkt hin konstruiert, wie ein Theaterstück. Also: wenn ich die Zeitzeugen nicht mehr habe, dann könnte ich aus unterschiedlichen Zeitzeugeninterviews unterschiedliche Punkte gegenüberstellen und quasi eine Diskussion unter Leuten, die sich nie begegnet sind, herstellen. Und dann gibt es die Migranten, die allgemein mit der deutschen Geschichte nicht so viel Berührung haben und mit dem Holocaust noch aus ganz anderen Gründen nicht.

tip : Wie wollen Sie denn Migranten für den Holocaust interessieren?
Nachama : Muss man immer die Frage nach dem Mord an den europäischen Juden stellen? Oder könnte man nicht die Geschichte so konstruieren: was wäre die Schnittmenge von Migranten kindern und von Zwangsarbeitern? Vielleicht, dass beide in der Fremde nicht ganz freiwillig gearbeitet haben - die historischen Gründe sind natürlich verschieden. Aber so kann ich einen Zugang konstruieren, wo einige dann vielleicht sagen, das D ritte Reich war ein Unrechtsstaat, da wurde nicht nur eine Gruppe verfolgt, sondern auch viele andere. Und plötzlich gibt es eine Schnittmenge auch für Migrantenkinder , die sich nicht nur mit dem Ort Deutschland herstellen lässt.

tip : Wer sind ihre Adressaten? Lehramtsstudenten?
Nachama : Wenn sie sich angucken, wie sich Archive und Redaktionen mit Geschichte befassen, dann geht das weit über den Bereich der Schule hinaus. Um das Staatsexamen kümmern wir uns hier noch nicht. Man stellt Historiker an, um Werksgeschichte zu schreiben, um eine Familienchronik zu erstellen oder weil man die Geschichte einer Straße, eines Gebäudes aufgearbeitet und dargestellt wissen will.

tip : Aber Migrantenkinder wird man so schlecht erreichen. Die haben selten mit Historikern zu tun.
Nachama : Diese Kinder gehen aber auch in Ausstellungen.

tip : Aber ist das nicht ein Fehler, die Schule so auszuklammern?
Nachama : Das liegt daran, dass es für die Lehrerausbildung an diesem Institut zur Zeit noch keine Voraussetzung gibt. Wenn das Lehramt vom Staatsexamen abrückt und man einen Master machen kann, dann sieht die Sache ganz anders aus, dann würde sich der Lehrerberuf auch ganz anders definieren. Zur Zeit bieten die Universitäten die Ausbildung für Lehrer zwar an, aber letztendlich prüfen das die Landesprüfungsämter - die Universitäten leisten da nur Hilfdienste.

tip : Wie kam es, dass sie an dieses College berufen wurden?
Nachama : Dr. Lander, der Präsident von Touro, ist mit seiner amerikanisch- jüdischen Hochschule nach Berlin gekommen, weil er gesagt hat, wir in Amerika haben von den jüdischen Wissenschaftlern aus Europa profitiert und davon müssen wir wieder etwas zurückgeben. Und so kam es zur Gründung der Business School, die auch in Amerika von Anfang an, Jewish Studies angeboten hat. Dr. Lander hatte sich dann die Topogra ph ie des Terrors angesehen und das Holocaust-Mahnmal, und so kam es, dass er vor eineinhalb Jahre proklamiert hat, er will das Institut für Communication about the Holocaust and Tolerance hier gründen.

tip : Ihre Frau ist Direktorin des Touro Colleges und Sie sind jetzt hier Professor - in der Politik würde man dazu Vetternwirtschaft sagen.
Nachama : Ich habe ja einen Job. Ich brauchte also keinen neuen. Ich mache das bisher auch ehrenamtlich hier. Aber es hat natürlich etwas damit zu tun, dass ich den Dr. Lander kenne. Ich weiß nicht, ob er sonst auf die Idee gekommen wäre, hier ein solches Institut zu gründen.

tip :  Das Touro College ist ziemlich elitär - das Semester kostet 3000 Euro.
Nachama : Ich finde, darin liegt die Chance. Die staatlichen Hochschulen existieren ja weiter, und wir sind nicht wirklich eine Konkurrenz für die Universitäten. Da gibt es noch das Institut für Antisemitismusforschung an der TU - was aber ein Institut für sich ist.

tip : Da hätte ihr Institut doch wunderbar hineingepasst und wäre von vielen Studenten erreichbar gewesen, anders als hier im College.
Nachama : Das ist eben eine amerikanische Universität, die das hier gegründet hat und nicht der Berliner Senat oder die Technische Universität.

tip : Sie haben auch kein Problem damit, Holocaust Studies hier anzubieten statt ihr Wissen einer breiten Masse zur Verfügung zu stellen?
Nachama : Wir betreuen wenige Studenten intensiv, so dass sie mit einem vertretbaren Zeitaufwand hier durchkommen, zum Beispiel auch berufsbegleitend . Die Universitäten sind gegängelt von der Politik, bekommen Geld zugeteilt und müssen sehen, wie sie irgendwie damit klar kommen. Hier gibt es Stipendien. Mir ist niemand bekannt, der hier studieren wollte und es aus Geldmangel nicht konnte.

tip : Wie notwendig sind Holocaust Studies hierzulande, oder anders gefragt: halten Sie Deutschland für ein antisemitisches Land?
Nachama : Da muss man sehr genau definieren, was Antisemitismus ist. Ich bin davon überzeugt, dass es nur sehr wenige Leute gibt, die sich dazu bekennen würden, Antisemiten zu sein. Es gilt nach wie vor nicht als politisch korrekt, antisemitisch zu sein. Deshalb würde ich sagen, Deutschland ist kein antisemitisches Land, was nicht heißt, dass es nicht antisemitische Einstellungen gibt. Es gibt Antisemitismus. Und das kann man auch an der Polizeischule sehen. Wobei ich jetzt nicht sagen würde, dass sich einige Schüler dort bewusst antisemitisch intendiert geäußert haben, aber sie haben ganz sicher antisemitische Positionen vertreten.

tip : Ist es so, dass viele Schüler keine Lust auf die ständige Wiederholung des Holocaust im Unterricht haben?
Nachama : Ja, nur scheinbar wird hier zu viel über den Holocaust gesprochen. Und das zeigt, dass die Dinge falsch angesprochen werden. Und deshalb versuchen wir mit unserem Institut andere Wege zu finden . Die Forschungen und Publikationen, die daraus entstehen werden, haben dann ganz sicher Einfluss, wenn auch indirekt, auf die Lehrer.

tip : Worin sehen Sie die Gründe, dass es immer noch zu antisemischen Vorfällen kommt, wie beispielsweise zur Verbrennung des Tagebuchs von Anne Frank in Pretzien?
Nachama : Es ist immer schwer über Einzeltäter zu sprechen. Man sollte das Ganze als ein beklagenswertes, gesellschaftliches Phänomen nehmen. Antisemitismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Man kann sicherlich an den einzelnen Stellen etwas tun, aber damit wird man nicht das Phänomen als Ganzes abstellen.

tip : Es gibt die spezielle Problematik in Neukölln und Kreuzberg mit den Migrantenkids, wo sich Juden nicht mit einer Kippa oder einem Davidstern hintrauen.
Nachama : Der Nahostkonflikt hat natürlich seine Auswirkungen. Und man kann nur den Leuten versuchen klar zu machen, dass die Juden hier keine Exil-Israelis sind. Gleichwohl gibt es natürlich eine große Solidarität innerhalb der jüdischen Gemeinde gegenüber Israel. Die Situation hier in den Bezirken wird sich aber erst sichtbar entspannen, wenn der Nahostkonflikt vor Ort gelöst ist. Und bis dahin muss man versuchen miteinander ins Gespräch zu kommen.

tip : Welcher Job ist Ihnen der liebste, Sie haben so viele: Direktor der Topographie des Terrors, Professor und Rabbiner?
Nachama : Das ist schwer zu sagen. Ich finde, das sind drei sehr herausfordernde Aufgaben. Ich könnte nicht dauerhaft nur die Topographie des Terrors betreuen.  Der NS-Terror  ist ein sehr schwieriges Thema mit dem umzugehen über zwei Jahrzehnte schon aufs Gemüt schlagen kann. Da ist dieser Ausgleich mit der eher positiven Nachricht als Prediger und Seelsorger fast lebensnotwendig . Und was den Professor betrifft, da bin ich ja über die  Berufserfahrung und nicht über eine Habilitation dazu gekommen. Das ist ein interessantes Dreieck. Der Tag hat doch 24 Stunden und sollte das einmal nicht reichen, nehmen wir die Nacht dazu . Mal sehen, wie lange ich das aushalte.

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