Tagebuch

Fortsetzung :

25. August 2005


Jüdische Allgemeine

Die vergessene Synagoge
In der Kantstraße verrottet ein ehemaliges jüdisches Gotteshaus
Christine Schmitt

Als Andreas Nachama 1980 anfing, nach jüdischen Orten zu recherchieren, stieß er bald auf die Synagoge an der Kantstraße, die völlig in Vergessenheit geraten war. „Am allerschönsten wäre es natürlich, wenn die Syngagoge wieder als Gotteshaus genutzt werden könnte“, sagt der Rabbiner. Kurzzeitig war das Gartenhaus auch im Gespräch, als die Jüdische Gemeinde zu Berlin im vergangenen Jahr nach geeigneten Beträumen für die kaukasischen Juden Ausschau hielt. Aber da das derzeit eine Illusion zu sein scheint, wäre Nachama schon zufrieden, wenn es wenigstens möglich wäre, die Räume zu besichtigen.

Da das Gebäude keine bezirkliche Immobilie sei, habe der Bezirk auch keinen Einfluß darauf, was in den Räumen geschieht, bedauert der Pressesprecher. Nach Auskunft des Bezirksamtes ist eine Bank Eigentümerin des Objektes. 1897 war das viergeschossige Haus an der Kantstraße mitsamt Werkstattgebäude im zweiten Hof von dem Glasermeister Herrmann Koch errichtet worden, der es Anfang des vorherigen Jahrhunderts an den Kaufmann Hugo Peglow verkaufte. Peglow stellte einen Antrag auf Einrichtung eines Betraums „für eine religiöse Gemeinde“, heißt es in dem Band Geschichtslandschaft Charlottenburg (1996). 1908 mietete schließlich der Synagogenverein Thorat-Chessed, der von osteuropäischen Immigranten gegründet worden war, die Glaserwerkstatt im zweiten Hof an, um ein Gotteshaus zu errichten. Die Synagoge wurde in der Tradition einer polnischen Betstube gestaltet. Um eine Empore für Frauen einzurichten, wurde eine Zwischendecke in dem Werkstattgebäude entfernt. 280 Beter hatten Platz, davon 160 Männer im Erdgeschoß. 1919 wurde erneut umgebaut. An der Ostseite entstand ein nischenartiger Altarvorbau.

„Die Synagoge in der Kantstraße war eigentlich d i e Synagoge“, erinnerte sich die Berlinerin Charlotte Klein (1915-1985), die 1938 als 23jährige nach Palästina emigrierte und 40 Jahre später ihre Heimat mit dem Berliner Emigrantenprogramm besuchte. „Für uns gab es keine andere.“ Alle waren damals wie eine große Familie, erinnert sich Charlotte Klein, die in einer orthodoxen jüdischen Familie aufgewachsen war.

Da die Synagoge in einem dichtbesiedelten Wohngebiet lag, wurde sie in der Pogromnacht vom 9. November 1938 nicht angezündet. In unmittelbarer Nähe wohnte ein Mitglied der NSDAP, das in letzter Minute verhinderte, daß das jüdische Gotteshaus in Flammen aufging, denn ein Übergreifen der Flammen auf seine Wohnung wäre kaum zu verhindern gewesen, heißt es in dem Buch.

Der Synagogenverein mußte im Januar 1939 das Gotteshaus aufgeben, nachdem das Gebäude drei Jahrzehnte lang religiösen Zwecken gedient hatte. Die Hausverwaltung beantragte den „Umbau eines zweigeschossigen jüdischen Versammlungs- beziehungsweise Betlokals zu Büro-, Werkstätten- oder Lagerräumen“. Der Altarvorbau wurde abgerissen und zugemauert. In den letzten Kriegstagen 1945 verschanzte sich die SS im ehemaligen Synagogengebäude, wovon noch die zahlreichen Einschußlöcher zeugen.

Bis 2003 hatte der Charlottenburger Kulturverein die Räume als eine Spielstätte unter dem Namen „Marias Gartenhaus“ genutzt. Vor zwei Jahren mußte der Verein jedoch Insolvenz anmelden und wurde aufgelöst, erklärt Pressesprecher Metzger. Als Charlotte Klein 1983 in Berlin zu Besuch war, ging sie von ihrem alten Wohnhaus „wie in einem Traum den altvertrauten Weg zu unserer Synagoge“. Sie durfte das Gotteshaus ihres Vaters sogar besichtigen. „Das Gebäude steht, aber alles andere ist eben nicht mehr da“, schilderte Charlotte Klein ihre Eindrücke.

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