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Hinein in die Heiligkeit der Gebete
DAS NEUE JÜDISCHE GEBETBUCH ERSCHEINT IM HERBST
KESCHER Juli 2007
Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama Synagogengemeinde Sukkat Schalom
Das macht die Anlage eines traditionellen Gebetbuches überschaubar, das eines progressiven eher kompliziert, weil die Gebetsordnung der progressiven Gemeinden von Ort zu Ort variiert, folglich der Siddur flexibel auf diese Anforderungen reagieren soll. Wenn dieses Jahr ein zeitgemäßes jüdisches Gebetbuch erscheint, so folgt dieser Siddur dem Vorbild der Neuen Synagoge Berlins und steht damit in der Tradition des liberalen deutschen Judentums der Vorkriegszeit. Gleichzeitig versucht er jedoch durch eine Navigationsleiste mit Regieanweisungen auch dem ungeübten Gottesdienstbesucher ein Leitfaden zu werden. Auch in Gottesdiensten die nicht durch einen Leiter moderiert werden, sollte der Nutzer dieses neuen Siddurs nicht die Übersicht verlieren.
Als vor zehn Jahren der 'Seder HaTefillot' für die Synagoge Pestalozzistraße und gleichzeitig im Gütersloher Verlagshaus ein gleichnamiger 'Seder HaTefillot' erschienen, herausgegeben von den Rabbinern Walter Homolka und Jonathan Margonet und mit einer deutschen Übersetzung aus dem Hebräischen von Annette Böckler ging es im einen Fall darum, am fin de siècle der letztmalig vor 1933 nachgedruckten Gebetbücher für die neue Synagoge, die noch immer im Gebrauch der Synagoge Pestalozzistraße waren, den dort in den Nachkriegsjahrzehnten in einer Mischung aus liberal und konservativ entstandenen einzigartigen Ritus abzubilden, im anderen Fall darum, für die im Entstehen begriffenen liberalen Gemeinden Deutschlands überhaupt eine gemeinsame Plattform zu finden.
Die wichtigste Scheidelinie zum altfrommen Judentum ist die Frage nach Gleichstellung von Mann und Frau. Natürlich wird der Text des neuen Gebetbuches egalitär eingerichtet werden, also bei den Vorfahren nicht nur die Stammväter, sondern auch die Stammmütter gleichberechtigt aufgeführt werden.
Aber auch an anderer Stelle bedürfen die traditionellen Texte der auffrischenden Hand: Kann man tatsächlich angesichts von allen Aufforderungen zu Umkehr für die Sündigen in der Wochentagsamida sagen: „Den Verleumdern sei keinerlei Hoffnung“ oder wäre es nicht angemessen zu sagen „Der Verleumdung sei keinerlei Hoffnung“. Die Frage stellen heißt schon sie zu bejahen: so wird es also eine Reihe von Textauffrischungen geben, die zuweilen in Kürzungen, zuweilen im Austausch von Worten oder ganzen Texten bestehen wird.
Bei der jetzigen Neufassung werden die Psalmen in der Tradition der Übersetzung von Moses Mendelssohn eingestellt, um einerseits die leicht sprechbaren Texte Mendelssohns einer neuen Generation von Beterinnen und Betern nahezubringen, und andererseits die Traditionslinie modernen Judentums in Deutschland, die untrennbar mit Moses Mendelssohn verbunden ist, wieder zum Leben zu bringen. Andere Gebete werden insbesondere dann, wenn sie im Gebetbuch an mehreren Stellen auftauchen, gelegentlich mehrere Übersetzungen anbieten so z.B. das „Alenu Leschabeach“ mit klassischen Übersetzungen anderer deutschsprachiger Gebetbücher, die vor der Schoa erschienen waren. Ein anderes Beispiel könnte die Chanukka-Hymne „Maos Zur“ sein, für die es eine singbare und im deutschjüdischen Milieu etwas altertümlich klingende, aber noch immer praktizierte deutsche Fassung „Mit Schirm und Schutz“ gibt.
Nicht alle die ein hebräisches Gebetbuch nutzen und die Texte im Gottesdienst mitlesen können, sind in der Lage aktiv Responsen, Bibeltexte und Gebetstexte mitsingen oder mitsprechen zu können. Für Sie werden wichtige „Gemeindetexte“ transliteriert, um die richtige Kawanah, die Hingabe, aller in der Kehilla Befindlichen zu ermöglichen. Wir wissen, welche Bedeutung es für Menschen hat, wenn sie das „Micha Mocha“ nicht nur mitsummen, sondern mitsingen können. Zwar hat über lange Zeit im 19. und 20. Jahrhundert die Melodie des „Kiddusch“, des „El Male Rachamim“ oder des „Avinu Malkenu“ eine fast größere Bedeutung als der Text für viele gehabt, die der hebräischen Sprache nicht mächtig waren oder sind, waren eine Chiffre, der des Schofarklanges gleich, die durch das Hören seine Wirkung entfaltete, aber das Mitsprechen, zuweilen Stammeln, erst entfaltet die volle Wirkung. Wer von Wort und Melodie gleichermaßen eingefangen wird, wird wirklich emporgetragen aus den Niederungen des Alltags in die heilige Welt der Gebete.
Angeknüpft an die Tradition mit Blick auf die Zukunft will dieses Gebetbuch, das wegen seines Anspruches durch das ganze Jahr zu führen, drei Bände hat, so handlich bleiben, dass man es gerne im Gottesdienst in der Hand hält: denn wir pflegen im Gegensatz zu unseren nichtjüdischen Brüdern und Schwestern beim Beten die Hände nicht zu falten, aber zu schwer sollte der Siddur der guten Ordnung halber nicht sein.
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