Tagebuch


Jüdische Allgemeine 11. Dezember 2003
Ein göttliches Gebot
Über den Wert der Dankbarkeit
Fortsetzung
An den hohen Feiertagen bekräftigen wir, daß ER bestimmt, "wer [im kommenden Jahr] leben und wer sterben wird, wer durch Wasser und wer durch Feuer, wer arm und wer reich sein wird. - Aber Umkehr, Gebet und Wohltun wenden das Böse ab!" Hier fällt kein Wort von Dankbarkeit. So ist es denn auch folgerichtig, wenn Moritz Lazarus (1824-1903) in seiner Ethik des Judentums (Bd.II, S. 235f) feststellt: "Dankbarkeit ist noch keine Tugend, aber Undankbarkeit ist ein Laster".

Wir alle kennen Augenblicke nach denen man tief Luft holt und seinem Schöpfer danken will, daß man sie eben heil überstanden hat. Die jüdische Tradition hat dafür das Gomel benschen vorgesehen, ein kurzer Segensspruch, den der zur Toraaufgerufene von einer Krankheit Genesene oder aus einer Gefahrensituation Gerettete nach der Schriftlesung sagt: Gelobt seist du, Ewiger unser Gott, König der Welt, der du Schuldigen Wohltaten erweist, daß du mir alles Gute erwiesen." Die Gemeinde würde dies mit dem Ruf bekräftigen: "Der dir alles Gute erwiesen hat, er wird dir alles Gute erweisen - SELA."

Dankbarkeit ist aber nicht auf Extremsituationen beschränkt. Dankbarkeit im Judentum ist existentieller Teil des täglichen Hauptgebets, wochentags in der 18. Lobpreisung, am Schabbat im sechsten Abschnitt. Es wird dreimal täglich gebetet, nimmt man die Wiederholungen des Vorbeters hinzu sogar fünfmal. Diese Lobpreisung war schon Bestandteil des priesterlichen Gottesdienstes im Tempel (BT: Sota 40a). Der Text im Gebetbuch sagt:
"Wir wollen dir danken und deinen Ruhm verkünden, wegen unserer Leben, die in deine Hand gegeben, und unserer Seelen, die dir anvertraut sind und wegen der Wunder, die uns täglich begleiten, auch wegen der Zeichen und Wohltaten, die zu allen Zeiten, abends, morgens und mittags mit uns sind. [...] Alle Lebenden danken dir, Sela [...] Gelobt seist du, Ewiger, Allgütiger ist dein Name und es gebührt sich, dir zu danken."
Der Kenner des jüdischen Gottesdienstes weiß, daß in den altfrommen Gebetbüchern hier eine weitere Version dieses Gebets abgedruckt ist, damit jeder seine eigene Danksagung an Gott spricht, weil es ungebührlich wäre, den Vorbeter den eigenen Dank für all das Gute und Schöne, das wir täglich erhalten, formulieren zu lassen oder es lediglich durch ein AMEN = So sei es! zu quittieren.

Nun empfangen wir nicht nur Gutes und Schönes, sondern zuweilen auch Hartes, unerwartet Schreckliches, wie Unfall, Krankheit, ja Tod. Die wohl drastischste Formulierung von Gotteslob ist das Kaddisch, das eben nicht vom Tod, sondern von der Verherrlichung Gottes handelt und vom Leidtragenden z.B. unmittelbar nach Bedeckung des Sarges mit Erde am Grab gesprochen wird. In 5 Moses 23,8 heißt es: "Auch den Ägypter sollst du nicht verabscheuen; denn ein Fremdling warst du in seinem Lande!" Dies heißt, daß auch den Ägyptern trotz der Sklaverei Dank dafür gebührt, dort die Hungersnot, die im ersten Buch Moses Jakob zu Joseph führte überstanden zu haben.

Dank hat aber auch eine klassische Ausdrucksweise in unserer Bibel: Der Psalm 50 (Vers 23) deutet es an: "Wer Dank mir opfert, der ehrt mich " Im dritten Buch Moses 12 wird das Dankopfer ganz präzise auch als solches benannt: Die Rabbiner betrachteten das Dankopfer als eine höchste Form des Opfers; in der messianischen Zeit würden alle Opfer außer dem Dankopfer unnötig werden. Das Dankopfer würde ewig fortdauern, denn die Menschen sind, selten dankbar genug. Die Zeit des Tempels und seiner Opfer ist dahin, geblieben ist jedoch die Dankbarkeit. Im Fünften Buch Moses 8,10 lesen wir:
"Und du wirst essen und satt werden und du sollst loben den Ewigen, Deinen Gott." Eine Passage, die sich im Tischdankgebet wiederfindet. Die Rabbiner sagen dazu: "Wer auch immer sich über einen irdischen Genuß erfreut, ohne einen Segensspruch über den göttlichen Spender auszusprechen, begeht Gott gegenüber einen Diebstahl."

Heißt das, daß man sich bei seinem Gastgeber nicht für ein Mahl bedanken muß, denn schließlich hat nicht er, sondern ER, der Ewige, es gegeben? Der Talmud sagt: "Obwohl der Wein dem Gastgeber gehört, danken wir dem Diener, der ihn serviert" (BT Baba Kamma 92b). Obwohl alles in der Welt Gott gehört, so danken wir den menschlichen Boten, die diese Segnungen an uns weiterleiten.

Und so sprach letztlich Rabbiner Jehuda Teichtal in meinem Büro einen schönen Segensspruch über ein Glas Mineralwasser. Es sei uns in Erinnerung gerufen, daß jährlich Millionen Menschen sterben, weil sie keinen Zugang zu sauberem Wasser haben, denn es ist doch nicht selbstverständlich, so etwas sauberes, gutes und lebensnotwendiges zu haben. Rabbi Alexander Ziskind sagt: Nichts ist zu unbedeutend, um Gott nicht dafür zu danken.